: Wirbelspuren führen zur Beute
Nachtaktive Raubfische oder Arten der Tiefsee können sich in der Dunkelheit nicht auf ihre Augen verlassen. Wie also finden sie ihre Nahrung?
Hat ein Hund erst einmal eine Fährte aufgenommen, ist es schwer, ihn von deren Verfolgung abzubringen. Die Spürnase immer auf dem Boden, folgt er der Duftmarke, inklusive aller Umwege. Wie der Vierbeiner im Zweidimensionalen, so folgen auch manche Fische dem Weg ihrer Beute im dreidimensionalen Raum – etwa, wenn sie nachts jagen wie der europäische Wels, oder in großen Tiefen, wo die Lichtverhältnisse nicht mehr ausreichend sind. Das haben Wissenschaftler der Universität Konstanz in einer Veröffentlichung im renommierten amerikanischen Proceedings of the National Academy of Science gezeigt.
Die Biologen setzten einen Wels und einen Guppy zusammen in ein Aquarium, das nur mit Infrarotlicht beleuchtet wurde – einer Wellenlänge, bei der Welse nichts mehr sehen können. Trotzdem trafen Wels und Guppy aufeinander, was meist damit endete, dass der Große den Kleinen fraß. Doch wie gelang es dem Wels, den kleinen Beutefisch überhaupt zu finden? Videoaufnahmen mit zwei Infrarotkameras, die mittels Bewegungsanalyseprogramm ausgewertet wurden, gaben den Aufschluss: Der Wels tat sich wesentlich leichter, die Guppys in dem Wasserbecken zu finden, wenn diese sich bewegten, also eine Wirbelspur ähnlich der Heckwelle eines Bootes im Wasser hinterließen. War der Raubfisch erst einmal auf diese Spur gestoßen, folgte er dem Weg des Guppys, bis er diesen einholte.
Angriff von hinten
Wäre die Begegnung zwischen Räuber und Beute zufällig gewesen oder hätte ein anderer Reiz den Wels zum Guppy geführt, so hätten die Angriffe mit gleicher Wahrscheinlichkeit von allen Seiten, also auch von vorn, von rechts oder links, oben oder unten erfolgen müssen. Denn alle anderen Signale – etwa akustische oder elektrische – würden in alle Richtungen ausgestrahlt, erklärt der Konstanzer Biologe Thomas Breithaupt. Der Raubfisch bekäme folglich Informationen über die jeweils aktuelle Position des Guppys und würde dann auch direkt auf seine Beute zuschwimmen.
„Wir haben aber gefunden, dass der Wels ‚vergangenen‘ Positionen des Beutefisches folgt, also dessen Pfad“, erklärt die Verhaltensforscherin Kirsten Pohlmann. Die meisten Angriffe des Räubers auf seine Beute, rund 46 Prozent, fanden also von hinten statt. Dem Wels wiederum kommt diese Jagdstrategie sehr zupass, denn er ist ein langsamer Schwimmer, so Pohlmann. Schnelle Beute könnte ihm daher auch leicht ausweichen, sofern sie ihn bemerkt.
„Die Wirbelspur ist ein interessanter Stimulus für andere Tiere“, urteilt Breithaupt. Sie enthält gebündelte Informationen über Größe, Geschwindigkeit und Richtung ihres Verursachers. Hinzu kommt der Geruch des Fisches, der Auskunft geben könnte über Art oder Geschlecht. Nur das Wasser innerhalb der Wirbelspur, das mit der Beute in Berührung gekommen ist, beinhaltet diese Geruchsstoffe.
Sind es die Duftstoffe?
Die Diffusion der chemischen Information im Wasser setzt erst später ein, wenn die Wirbelspur bereits verlaufen ist. Doch die bleibt erstaunlich lang erhalten – mehr als drei Minuten, wie man inzwischen weiß.
Wenn schon ein nur wenige Zentimeter langer Guppy eine solche Wirbelspur verursacht, wie prominent wird dann erst die Spur sein, die eine Schule von Fischen, also ein ganzer Schwarm, hinter sich herzieht? Auch andere, größere Räuber wie etwa Haie könnten so zur Beute geführt werden, spekuliert Breithaupt.
Noch ist allerdings unklar, welche der in der Spur enthaltenen Informationen sich die Welse zu nutze machen – die Wirbel selbst, die darin enthaltenen chemischen Reize oder eine Kombination beider Faktoren? Der nächste Schritt sind deshalb so genannte Ausschaltexperimente, also Experimente, für deren Durchführung Sinnesorgane selektiv funktionsuntüchtig gemacht werden.
Die Sinneszellen des so genannten Seitenlinienorgans etwa, das die Wasserbewegungen entlang der Körperoberfläche verarbeitet, können leicht und reversibel mittels einer chemischen Substanz, Kobaltchlorid, im Wasser ausgeschaltet werden. Reagiert der Wels jetzt nicht mehr auf die Reize der Wirbelspur, so ist die Wasserbewegung der entscheidende Reiz. Findet er die Beute so mühelos wie zuvor, sind die Geruchsnerven an der Reizwahrnehmung zumindest beteiligt. VERA BETTENWORTH
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