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Brasilien zeigt Roche die Zähne

Gesundheitsminister Serra will das Patent des Schweizer Pharmamultis für ein Aidsmedikament brechen. Das Land spart dadurch 35 Millionen Dollar im Jahr

SÃO PAULO taz ■ Brasilien will erstmals das Patent für ein Aidsmedikament brechen. Gesundheitsminister José Serra kündigte am Mittwoch an, er werde beim nationalen Patentamt eine Zwangslizenz für das Roche-Präparat Nelfinavir beantragen. Ab Januar 2002 könne im staatlichen Labor Far-Manguinhos in Rio de Janeiro ein um 40 Prozent billigeres Generikum hergestellt werden. Eine „pharmazeutisch gleichwertige“ Nelfinavir-Kopie sei bereits entwickelt, sagte Far-Manguinhos-Chefin Eloan Pinheiro.

Nach dem brasilianischen Patentgesetz kann drei Jahre nach Inkrafttreten eines Patents eine Zwangslizenzierung vorgenommen werden, wenn ein „Missbrauch wirtschaftlicher Macht“ vorliegt. Gegen diese Bestimmung hatten die USA vor der Welthandelsorganisation WTO Beschwerde eingelegt, sie aber auf internationalen Druck hin im Juni zurückgenommen. Außerdem sieht das Gesetz in Fällen „öffentlichen Interesses“ oder „nationalen Notstands“ die Möglichkeit zur Zwangslizenzierung vor.

Das Gesundheitsministerium hatte seit Februar erfolglos mit dem Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche über eine Preissenkung für Nefilnavir verhandelt, das unter dem Markennamen Viracept verkauft wird. Es ist das teuerste Medikament des so genannten Aids-Cocktails. Nach ähnlichen Verhandlungen senkte die US-Firma Merck, Sharp and Dome Ende März die Preise für zwei Aidsmedikamente um 59 bzw. 65 Prozent.

Bereits am Rande der UNO-Vollversammlung zum Thema Aids Ende Juni hatte Serra dem Schweizer Multi „Unnachgiebigkeit“ vorgeworfen. Am Mittwoch schob er nach: „Leider war Roche nicht so einsichtig wie Merck.“ Es bestehe durchaus eine Notsituation: „Unsere Möglichkeit der Behandlung hängt vom Preis ab.“ Wegen des gestiegenen Dollarkurses werde das Medikament unbezahlbar.

Die Regierung stellt den Aids-Cocktail allen 100.000 registrierten HIV-infizierten PatientInnen kostenlos zur Verfügung. Die Versorgung von 85.000 PatientInnen im vergangenen Jahr kostete 303 Millionen Dollar. Allein für Viracept müssten jährlich 88 Millionen Dollar ausgegeben werden. Die Ersparnis durch die jetzt angestrebte Regelung belaufe sich auf 35 Millionen Dollar pro Jahr.

Hoffmann-La Roche zeigte sich in einer Presseerklärung „überrascht“ vom Vorgehen das Ministers. In den Verhandlungen habe man sich deutlich auf die Forderungen der Regierung zubewegt. Zudem habe Brasilien seine Zusage gebrochen, die USA vor einem Patentbruch zu unterrichten. Viracept wird unter einem US-Patent hergestellt. „Das ist Blödsinn“, sagte Paulo Teixeira, der Leiter des staatlichen Aidsprogramms, zur taz. „Wir gehen nach der international anerkannten Notstandsklausel vor, die gar nicht Gegenstand der US-Beschwerde war.“

Für Rubens Duda, den Vorsitzenden der nichtstaatlichen Koordination „Fórum ONGs-Aids“, ist die Entscheidung Serras „positiv, aber nicht ausreichend“. Die Aids-AktivistInnen, so Duda, unterstützten nach wie vor einen Gesetzentwurf von Eduardo Jorge, dem Gesundheitsexperten der oppositionellen Arbeiterpartei PT. Danach sollen alle Aidspräparate als billige Generika im Lande hergestellt werden. Bisher werden acht der zwölf retroviralen Aidsmedikamente in heimischen Labors produziert. Auch in der Prävention gilt die Aidspolitik als vorbildlich für Entwicklungsländer.

Ein Hintertürchen hat der Pragmatiker Serra den Schweizern allerdings noch offengehalten: Sollte Hoffmann-La Roche doch noch eine Preissenkung von mindestens 40 Prozent anbieten, werde Brasilien den Prozess der Zwangslizenzierung stoppen. GERHARD DILGER

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