piwik no script img

Dumping oder Delite

Der Durchschnittspreis für Fahrräder ist gestiegen. Die Qualität erst recht, meint der Fachhandel. Doch auch wer’s so richtig billig mag, kommt auf seine Kosten, wenn man richtig hinschaut

Tausend Mark für ein Fahrrad? Da kann Angela Hayen nur lachen. Nachdem ihr Stadtrad der Marke „Flux“ – vor zwei Jahren für 2.200 Mark gekauft – unter die Räuber gefallen ist, soll’s nun was Preisgünstiges sein. So was um die 500 Mark. „Höchstens!“ Die Fahrradfachgeschäfte, meint sie, könne man da schnell abhaken: „Eindeutig zu teuer.“

Ein Vorwurf, mit dem der Fachhandel zunehmend zu kämpfen hat. Was indes Peter Stage, Geschäftsführer des Fahrradladen im Mehringhof (Berlin), kalt lässt: „Die Fahrräder sind billiger geworden. Man muss nur die heutige Technik mit der von vor 20 Jahren vergleichen. Und die Inflationsrate berücksichtigen.“ Grundsätzlich sieht er bei seinen Kunden gewachsene Ansprüche. Viele betrachteten das Velo als vollwertiges Verkehrsmittel, denn sie „wollen mit den Autos mithalten“.

Für Fahrräder dieser Art ist die Mehrzahl unter Stages Kunden bereit, um die 1.100 Mark auszugeben. „Für eine Minderheit sind auch 2.000 Mark und mehr kein Problem.“

Ja, der Trend gehe nun mal zum „höherwertigen Fahrrad“, weiß auch der ZIV (Zweirad-Industrie-Verband) – wovon besonders der Fachhandel profitiere. So ist dort laut ZIV-Statistik der Durchschnittspreis von 837 Mark (1999) auf 914 Mark (2000) gestiegen. In den SB-Warenhäusern und bei ähnlichen Anbietern im gleichen Zeitraum von 385 Mark auf 405 Mark. In den Fachgeschäften mehr als doppelt so teuer! In der Realität ist die Differenz zwischen hohen und niedrigen Preisen viel gewaltiger.

Was zum einen an den Edel-Boliden liegt, die exklusiv in Fahrradläden zu haben sind. Etwa die Modelle von riese und müller. Das „Delite black“ (Aluminiumrahmen, vollgefedert) geht für rund 3.300 Mark mit, für’s Reiserad „Delite grey“ (ebenfalls ein vollgefedertes Alu-Reiserad, dazu mit 14-Gang-Nabenschaltung) werden um die 7.000 Mark verlangt.

Nicht zuletzt diesem extremen Segment ist es zu verdanken, dass der Fachhandel 67 Prozent des Verkaufsumsatzes macht, obwohl er nur die Hälfte aller in Deutschland abgesetzten Räder verkauft. Der stärkste Kontrast: die SB-Warenhäuser, Baumärkte und der Lebensmittel-Einzelhandel, die sich in 2000 einen Stückzahl-Anteil von bereits 35 Prozent erobert haben. Mit Dumpingpreisen, die jedem Fachhändler die Zornesadern schwellen lassen. Doch was kann man für ein paar Hunderter schon kriegen? „Unfug“, so eine der Wertungen von Ernst Brust. Der Fahrradsachverständige hat sich im Auftrage des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) in einem Baumarkt ein All-Terrain-Bike für 199 Mark besorgt und sich im Testlabor darüber hergemacht. Schon nach 15 Bremsungen entpuppte sich die Vorderradbremse als „Sicherheitsrisiko“.

Ein noch größeres stellte der falsch herum angeschweißte Dynamohalter dar, selbst die Klingel war so gut wie Schrott (Radwelt 04/01). Was bei fast allen Billigrädern der Fall ist: Anders als im Fachgeschäft werden sie lediglich „vormontiert“ und ohne jegliche Beratung verkauft. Der Kunde hat Hand anzulegen und übernimmt damit das Haftungsrisiko für das, was er dann fährt.

Dagegen zählt die Beratung zu der Grundausstattung des gut geführten Fachgeschäftes. Fragen kostet nichts – und deshalb würden viele Kaufwillige diesen Service bei den Experten in Anspruch nehmen, aber woanders das Geld lassen. „Der Beratungsklau nimmt zu“, formuliert Ulrike Saade, Geschäftsführerin der Branchen-Dienstleistungsfirma „velokonzept“. Außerdem hält es sich der Fachhandel zugute, dass er fachkundig repariert und zumindest kleinere Reparaturen nicht immer kostendeckend ausführt. Alles das fließt dann in die Preise der Neuräder ein.

Aber sind die auch in puncto Material und Verarbeitung ihren Preis wert? Das kann nur genaues Hingucken und intensives Ausprobieren klären. Immerhin: Die Trekking- und Cross-Trekking-Räder – typische Fachhandels-Modelle –, die die Stiftung Warentest in diesem und im letzten Jahr unter die Lupe nahm, erhielten in der Mehrzahl die Note „Gut“. Allerdings liegen die meisten auch erheblich über Durchschnittspreis – auch diejenigen, die nicht empfohlen werden (siehe auch taz-„fahr Rad!“ vom 16.06.01).

Dabei lasse sich Solides auch für wenig Geld bekommen, meint Fachhändler Peter Stage. Für die nicht besser Verdienenden hält er eine Hausmarke für 650 Mark vor: ein Stadtrad mit Damenrahmen und Dreigangnabe. Nichts für Angela Hayen. Sie hat sich ein gebrauchtes, „aber neuwertiges“ Rad der Designermarke Herskind im Internet (www.ebay.de) ersteigert. Zwölf Gänge, Sattel und Lenkergriffe aus Leder, Gepäckträger aus feinstem Holz. Selbstabholung. Keine Garantie – aber dafür schlappe 350 Mark in bar.

HELMUT DACHALE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen