: „Wir stehen mit Neugierde vor unserem Spielplan“
■ Die Spielzeit 01/02: Premieren-Feuer in Tanz und Schauspiel
Jetzt geht's lohos“ – wäre das Bremer Theater (nur) eine Demonstration, könnte man es so über den Goetheplatz hallen hören. Generalintendant Klaus Pierwoß wählte aber die gesittetere Ansprache: „Jetzt reißen wir das Bremer Publikum aus seinem Sommerschlaf.“
Kommenden Sonntag beenden Pierwoß' Mannen und Frauen mit dem Gastspiel „Zappa – Alles über Frank“ ihre eigene Sommerpause, am Wochenende darauf gibt's den „KultUrKnall“ mit Tag der offenen Tür und Kulturmeilenfest – und dann kommt die erste Premiere: Urs Dietrichs Choreographie „Appetit“ im Concordia (21. September). Über MOKS-Start und „Zauberflöte“ (siehe Nachbartext) geht es dann zur Schauspiel-Premiere mit den „Gerechten“ von Albert Camus (28. September) – dicht gefolgt von Mark Ravenhills „Gestochen scharfen Polaroids“ im Brauhauskeller. Bis zum Ende der Spielzeit am 23. Juni warten insgesamt 25 Premieren auf das Bremer Publikum – die ersten fünf drängen sich in den neun Tagen ab Beginn der Spielzeit.
Als Wiederaufnahme im Schauspiel wartet Schwabs „Volksvernichtung“ auf die geneigte Zuschauerschar, über eine vierte Staffel der „Letzten Tage der Menschheit“ im Bunker Valentin wird zur Zeit noch beraten. Von den bisher 68 Bunker-Aufführungen seien etwa 60 ausverkauft gewesen, erklärte Pierwoß – „das ist sensationell“.
Ebenfalls ein Stationentheater, ebenfalls außerhalb der eigenen Mauern, wird Barbara Bilabels Inszenierung von „Dantons Tod“ sein. Das Büchner-Stück hat am 16. Mai im Plenarsaal der Bürgerschaft Premiere, auch weitere Parlamentsgemächer und der Marktplatz sollen einbezogen werden.
Unter den 12 Schauspiel-Premieren fällt auch eine Kombination zweier Stücke auf, die sehr verschiedene Blicke auf Judentum und Antisemitismus geben: Als Gegenstück zu „Nathan dem Weisen“ gibt es den „Juden von Malta“ des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe: Eine düstere und groteske Gegenvision zu Lessings Versöhnungsidee.
Das MOKS startet am 22. September mit den „Zwei Monstern“ von Gertrud Pigor. MOKS-Chef Klaus Schumacher will mit seiner, erst kürzlich erneuerten Truppe, nicht nur pädagogische, sondern vor allem „künstlerische Akzente“ setzen. Dafür stünde vor allem das Tanztheaterstück „Patxiku“ für Kinder ab sechs Jahren (Premiere: 8. Dezember). „Erwachsenen-Tanztheater“ gibt es neben „Appetit“ und drei Wiederaufnahmen wieder am 22. März: Urs Dietrich wird die „Fassung 2002“ seiner „Sanguis“-Produktion von 1991 tanzen lassen.
In der vergangenen Spielzeit gab es im Vergleich zu den großartigen 85-Prozent-Margen der Vorjahre einen leichten (noch nicht genau quantifizierten) Rückgang. Um den Trend in dieser Spielzeit wieder umzukehren, eifert das Bremer Theater in Sachen Abo-Werbung der taz nach und bemüht sich, die bisherige Fahrrad-Prämie zu toppen. Jedes Neu-Abonnement ist ein Los (Pierwoß: „Manche Tombola würde uns beneiden“) und kann zum Beispiel Strom für tausend Mark gewinnen. Oder eine Becks-20-Mann-Party oder eine Reise nach Toulouse.
Das Theater wartet nicht nur mit einer beachtlichen Anzahl von Premieren auf, sondern auch mit einem Rekord an Ausbildungsplätzen. 28 Azubis lernen in den Werkstätten und der Verwaltung des Bremer Theaters, 15 davon im Bereich Veranstaltungstechnik – dort ist das Theater größter Ausbilder in Norddeutschland.
Womöglich können sie dann gleich im eigenen Haus Hand anlegen, denn in absehbarer Zeit ist mit einer Renovierung des Zuschauerraums am Goetheplatz zu rechnen inklusive des Einbaus einer Klimaanlage. Pierwoß: „Der Zustand ist eine Zumutung für die Zuschauer, aber es gibt jetzt sehr positive Signale aus der Politik.“
Das Theater seinerseits wird ein ganz eigenes politisches Signal setzen: Mit der öffentlichen Geburtstagsfeier für Ex-Intendant Kurt -Hübner am 30. Oktober. Pierwoß: „Nachdem der 85. Geburtstag von Moritz Thape, der Hübners Arbeit in Bremen – neutral ausgedrückt – beendet hat, mit einem Empfang im Rathaus gefeiert wurde, wollen wir nicht nachstehen.“
Zu guter Letzt ist anzukündigen, dass auch der Intendant persönlich die Bühnenbretter wieder betreten wird. Nach seinem legendären Mahagony-Auftritt mit „Jekyll and Hyde“-Spitze ( „Alle großen Unternehmungen haben ihre Krisen“) wird Pierwoß weiterhin die Hitchcock-Attitüde pflegen und – „mit großer Beiläufigkeit“ – in Helmut Baumanns „Cabaret“-Inszenierung auftreten. Vielleicht wird das Bremer Publikum dann einen bedeutungsschwangeren Satz in eigener Sache hören – denn bis dahin wird über eine Vertragsverlängerung des Intendanten nach 2004 entschieden sein. Henning Bleyl
■ Musiktheater: Neue Kompositions- aufträge sind schon vergeben ...
Bis 2004 hat Klaus Pierwoß noch seinen Vertrag als Generalintendant des Theaters und bis dahin hat er (s)eine Tradition der Vergabe von Kompositionsaufträgen und deren Uraufführungen abgesichert: So arbeitet der in Bremen gut bekannte Italiener Giorgio Battistelli - wir erinnern uns an die hinreißende Show italienischer Handwerker und „Die Entdeckung der Langsamkeit“ - an einer neuen Oper nach wiederum einer erfolgreichen Literatur: „Der Herbst des Patriarchen“ nach dem Roman von García Márquez. Auch Johannes Kalitzke komponiert nach der politischen Komödie „Molière oder die Henker der Komödianten“ wieder für Bremen: er vertont Fragmente aus Dantes Göttlicher Komödie von Peter Weiss, die bislang nicht veröffentlicht sind.
Auf der Pressekonferenz berichtet der Musikdramaturg Norbert Klein, dass für den Besuch zeitgenössischen Musiktheaters von „erstaunlichen Besucherzahlen“ zu berichten ist. Seiner Meinung nach ist dies das Ergebnis einer zuverlässigen Kontinuität.
Die nächste Uraufführung findet dann im September statt: der kalifornische, in Stuttgart lebende Komponist Sidney Corbett hat sich auch für eine Literaturvertonung entschieden. Christoph Hein hat nach seiner Novelle „Ein älterer Herr“ das Libretto für „Noach“ selbst geschrieben. In „Noach“ geht es um die Auseinandersetzung des seit 950 Jahren die damalige Sintflut überlebenden Noah mit Gott: eine junge Frau findet den alten Mann.
Für diese Produktion gibt es eine Novität: ein „virtuelles Programmheft“ in Form einer DVD, das vom deutschen Tanzfilminstitut poduziert wird. „Da kann man gut sehen, wie lustvoll es ist, zeitgenössische Musik zu produzieren und zu proben“, sagt Norbert Klein. Dieses Auftragswerk des Bremer Theaters wird Rosamund Gilmore inszenieren, deren hinreißende „Bremer Freiheit“ von Adriana Hölszky noch in bester Erinnerung ist.
Die erste Opernpremiere vollendet zunächst einmal den bremischen Mozartzyklus: nach „Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“ wird Mozarts letzte Oper „Die Zauberflöte“ in den Spielplan aufgenommen. Für alle Werke hatten Pierwoß und Klein den Ehrgeiz, weiterführende, auch waghalsige Inszenierungen anzubieten.
Das kann man auch erwarten von Gisbert Jäkel, dessen Grazer „Ring des Nibelungen“ bundesweit beachtet wurde. Jäkel hat als Bühnenbildner angefangen (an der Berliner Schaubühne) und ist sein eigener Ausstatter. Günter Neuhold, der seine letzte Spielzeit als Generalmusikdirektor antritt, hat die musikalische Leitung.
Seine Nachfolge ist noch nicht entschieden, dem Vernehmen nach gibt es heiße Favoriten, die allerdings zu Recht Bedingungen stellen, zu deren Etablierung die bremische Kulturpolitik bislang nicht in der Lage war: die Besetzung des Orchesters von derzeit 73,5 Stellen auf mindestens die seit Jahren zugesagten von 87 (Sollgröße eines A-Orchesters sind normalerweise 99 Stellen), die Herstellung und Verabschiedung einer funktionsfähigen neuen Struktur in Richtung GmbH und die Bereitstellung von vernünftigen Probenräumen, um nur die drei wichtigsten Punkte zu nennen.
Vier neue SängerInnen sind engagiert, denen man mit allem Vertrauen entgegenblicken kann: fast alle jungen SängerInnen des Bremer Theaters sind nach kurzer Zeit an erheblich größere Häuser engagiert worden. „Ich merk' das schon immer, wenn die Intendanten im Publikum sitzen“, sagt Klaus Pierwoß. Zwei von den Neuen, Marion Costa aus Stuttgart, und Christoph Wittmann aus Frankfurt singen in der „Zauberflöte“ die Pamina und den Tamino. Ute Schalz-Laurenze
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