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Belebend bewegt

Christof Hamann und Robert Habeck lasen im LCB aus ihren Romanen „Seegfrörne“ und „Hauke Heiens Tod“

„Hauke Haiens Tod“ ist ein Remix von Theodor Storms „Schimmelreiter“

Es geht lustig hin und her zwischen Berlin und dem Rest der Republik. Nicht nur was Gott, Geld und die Welt betrifft, sondern gern auch in Sachen neuerer deutscher Literatur. Da gibt es also die beliebten Berlin-Romane, die seit gut einem Jahrzehnt ausdauernd und unerbittlich gefordert, geschrieben, bejubelt und nicht so bejubelt werden. Und es gibt die Romane, die überall spielen, die überall geschrieben werden, nur nicht in Berlin. So richtig wichtig sind diese immer, wenn Berlin gerade nicht so in den Charts ist oder ein gewisser Sättigungseffekt erreicht ist: Als Geschichten oder Literatur aus der Provinz zum Beispiel, als Trend „jenseits des Berlin-Labels“. Trotz aller inhaltlichen und formalen Unterschiede bilden dann Ingo Schulzes „Simple Stories“, Karen Duves „Regenmacher“ oder Andreas Maiers „Wäldchestag“ ganz wunderbarerweise eine tolle Einheit.

Klar, dass da auch die beiden Debütanten Robert Habeck und Christof Hamann, die am Dienstagabend unter der Überschrift „Mysteriöse Geschichten aus der Provinz“ im LCB lasen, die unvermeidliche Frage des Moderators Stefan Willer über sich ergehen lassen mussten: „Seid Ihr nun“, und da stockte Willer ein bisschen, er weiß es ja besser, es war ihm eigentlich auch peinlich, „ja, seid Ihr nun Teil einer Bewegung?“ (Provinzbewegung! Oder gar eine Jugendbewegung?).

Wie erwartet, reagierten beide Autoren ablehnend bis irritiert. Habeck sagte: „Die meisten Bücher, die mir gefallen, haben einen starken lokalen Identitätsbezug, die kommen vom Land, ja, die kommen aber auch aus Paris, Berlin oder New York.“ Und Christof Hamann erwiderte, dass er sein Buch „Seegfrörne“ bestimmt nicht als „Anti-Berlin-Roman“ geschrieben habe. Geschäft aber ist Geschäft, Trend ist Trend, und wiederholen ist gestohlen.

Schön aber an Christof Hamanns Roman „Seegfrörne“ und Robert Habecks „Hauke Heiens Tod“ (den er zusammen mit seiner Freundin Andrea Paluch geschrieben hat) ist, das sie bestens ohne Etiketten auskommen und funktionieren. Das merkte man allein an den Ausschnitten, die Hamann und Habeck an diesem Abend lasen. Bei Habeck ging es erst die Zeiten rauf und runter und dann um einen Knecht, der sich betrinkt, Deiche entlangläuft, an einem elektrischen Zaun hängenbleibt und schließlich „einen Schimmel auf Jevers Hallig“ sieht – einer der vielen Hinweise darauf, dass „Hauke Haiens Tod“ ein alles andere als misslungener Remix von Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ ist.

Hamann wiederum erklärte erst kurz, was die „Seegfrörne“ eigentlich ist (ein Jahrhundertereignis, bei dem der Bodensee komplett zufriert) und wie sich in seinem Buch Gegenwart und Vergangenheit kreuzen: Sein Erzähler soll 1999 eine Chronik über eine Bodenseegemeinde schreiben, interessiert sich aber mehr für das Verschwinden eines Jungen nach der letzten Seegfrörne 1963.

Als Hamann dann ein Kapitel über die ersten Eindrücke seines Erzählers und dessen Gespräche mit den Dorfbewohnern vorlas, dämmerte es den Zuhörern schnell, dass der Chronist nicht vollständig hinter das Verschwinden des Robert Tailer kommen wird. Und auch bei Habeck wurde nach und nach deutlich, dass am Ende des Buches so manche Frage offen bleibt. Wie es eben ist, wenn Naturgewalten das Leben von Menschen beeinflussen und durcheinander bringen. Fast wie ein Wink dieser literarischen Schicksale kam es einem da vor, als sich am Ende der Lesung plötzlich ein ziemlicher Wind über dem Wannsee auftat und sich heftig an den Fensterläden des LCBs zu schaffen machte.

GERRIT BARTELS

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