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Leere Staatskassen in Polen

Kurz vor den Wahlen muss der Finanzminister gehen. Dies schwächt die Position der Regierungspartei AWS weiter

WARSCHAU taz ■ Drei Wochen vor den Parlamentswahlen in Polen hat Ministerpräsident Jerzy Buzek den Finanzminister entlassen. Jaroslaw Bauc, so die offizielle Begründung, habe die Regierung zu spät über die völlige Zerrüttung der öffentlichen Finanzen informiert. Nach neuesten Berechnungen Baucs droht 2001 ein Haushaltsdefizit von umgerechnet bis zu 46 Milliarden Mark. Dies entspräche zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Bauc hatte einen radikalen Sparkurs vorgeschlagen, den aber die meisten Minister so kurz vor den Parlamentswahlen ablehnten. Da der Minister vor rund einem Jahr einen viel zu positiven Haushalt vorgelegt hatte, glaubten ihm die Kollegen die Hiobsbotschaft von Anfang August nicht mehr. Wirtschaftsminister Steinhoff setzte eine Expertenkommission ein, die zu dem Schluss kam, dass Bauc diesmal Recht hatte. Tags darauf erklärte Buzek, dass er kein Vertrauen mehr zu seinem Finanzminister habe und eine weitere Zusammenarbeit unmöglich sei.

Kaum ein Kommentator in Polen versteht diese Entscheidung so kurz vor den Wahlen. Jeder weitere Schritt der von der konservativen Wahlaktion Solidarność (AWS) geführten Regierung kann jetzt nur noch unglaubwürdig wirken. Den wichtigsten Minister vor die Tür zu setzen, wenn er keinen Fehler gemacht hat, kann nur bedeuten, dass die Regierung das wahre Ausmaß der Finanzkatastrophe vertuschen wollte, um die Wahlchancen nicht weiter zu gefährden. Schon seit Monaten geben in Umfragen fast drei Viertel aller Befragten an, dass sie die Politik der konservativen Regierung für „schlecht“ halten. Entsprechend fallen die Ergebnisse bei der Frage aus: „Wie würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären?“ Die AWS, die die Regierung stellt, hätte Mühe, überhaupt ins Parlament zu kommen.

In der Nacht zu gestern ernannte Staatschef Aleksander Kwaśniewski die bisherige Vize-Finanzministerin Halina Wasilewska-Trenkner (59) zu Baucs Nachfolgerin. Sie hat angekündigt, das Budget bis zum 30. September vorlegen zu wollen, also nach den Wahlen. Klar ist, wen die Kürzungen treffen: Rentner, Arbeitslose, Behinderte und Kinder. GABRIELE LESSER

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