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„Wir sind keine Missionare mehr“

■ Das Schnürschuh-Theater feiert Jubiläum – nach einem Viertel Jahrhundert hat sich so einiges geändert. Standen früher „wöchentliche Demonstrationen“ auf dem Spielplan, entscheidet heute das Zuschauerinteresse

Wie grausig kann das Schauspielerleben sein, wenn zwei Tage vor der Premiere der Ischias Nerv des Hauptdarstellers klemmt. Sowas passiert nur in seichten Komödien und im Jahr 1982 im Packhaustheater. Dort wollten Kurt Woppe und sein Team zum ersten Mal „Püppchen“ spielen. Doch dann passierte Reinhard Lippelt die Sache mit dem Ischias. „Die Vorstellung war ausverkauft“, erinnert sich Woppe. „Neben Reinhard und mir sollten noch zwei Frauen auf der Bühne stehen. Ich habe seine Rolle mitgespielt. Heute würden wir die Vorstellung wohl absagen, damals haben wir das durchgezogen.“

Heute sitzt Kurt Woppe auf einem abgewetzten rosa Plüschsofa im Theaterhaus am Buntentorsteinweg, zusammen mit Corinna Senkbeil. Die beiden sind, neben Reinhard Lippelt, die Überbleibsel einer Jugendinitiative, eines Straßentheaters, einer bremischen Erfolgsgeschichte: dem Schnürschuh-Theater. „Püppchen“ war der große Erfolg der Gruppe. Lippelt fehlte nur die ersten paar Vorstellungen. Danach spielte die Gruppe das Stück, das den sexuellen Missbrauch junger Mädchen thematisiert, rund 400 mal. In ganz Deutschland, von Kiel bis zum Bodensee. „Damals wurde das Thema gerade enttabuisiert“, erinnert sich Corinna Senkbeil. „Wir hatten ein Stück daraus gemacht und rannten offene Türen ein.“

Das war nicht immer so in der Geschichte des Schnürschuh-Theaters. Begonnen hat alles Mitte der 70er. „Es gab die Tönende Wochenshow. Wir haben jede Woche eine Art politische Demonstration gemacht, sind mit Megaphon durch die Stadt gezogen – als Spaßguerilla“, erzählt Woppe. Corinna Senkbeil erinnert sich an alte Ziele: demonstrieren, provozieren. „Es war kein Straßentheater in dem Sinne, wir haben uns verkleidet, Musik gemacht und Texte von Ulrike Meinhof gelesen, was absolut verpönt war.“

Eine richtige Theatergruppe wurden sie erst 1976, als das Lagerhaus ein Straßenspektakel organisierte. Die Schnürschuh-Truppe trat mit 25 Leuten auf, spielte „Don Quichotte in den Straßen“. „Es war ein ganz lockerer Haufen, aber Leute mit viel Engagement“, so Senkbeil. Die Gruppe blieb zusammen, entwickelte selbst ihre Stücke, immer mit einer großen Portion Gesellschaftskritik. „Unser erstes Kinderstück hieß ,Betteln und Hausieren verboten“.

Heute ist alles anders. Von den 25 Gründungsmitgliedern sind nach einigen Querelen und Interessensspaltungen noch drei geblieben. Und die haben ihre Illusion verloren, übers Theater politisch wirksam sein zu können. „Wir haben nicht mehr den Anspruch, Missionare in der Gesellschaft zu sein. Das war früher ganz anders“, meint Kurt Woppe. Heute blickt das Schnürschuh-Theater nicht mehr zuerst auf die Botschaft der Stücke, sondern auf deren theatralische Inszenierbarkeit und darauf, was den Zuschauer interessiert. Sie entwickeln ihre Stücke nicht mehr selbst, sondern wählen aus. „Creeps“ war so eine Wahl, oder „Der Weibling“, ein bisschen Medienkritik, ein bisschen Kritik an der Homophobie der Gesellschaft.

Die feste Spielstätte im Buntentorsteinweg existiert erst seit 1994. Davor stand eine kleine Odyssee auf der Suche nach Probenräumen. Corinna Senkbeil wirft die Hände an den Kopf, wenn sie sich erinnert: „Wir hatten erst tolle Räume im Teerhof, da sollte dann aber das Neue Museum Weserburg hinein. Dann waren wir ein paar Jahre im Künstlerhaus am Deich, sollten später in das Gebäude der Städtischen Galerie und als es uns zu viel war, städtischen Räumen hinterherzulaufen, haben wir dieses Haus hier gefunden.“ Seitdem arbeiten sechs Hauptamtliche, rund zehn freie Schauspieler auf Honorarbasis und unzählige freiwillige Helfer hier. „Wenn man etwas 25 Jahre lang macht, dann ist es zum Lebenswerk geworden“, sagt Woppe. Gibt es da noch Träume? „Ich suche schon lange nach einer ausdrucksvollen, charakterstarken Frauenrolle, witzig und tragisch zugleich. Bisher habe ich so etwas noch nicht gefunden. Nur Monologe, in denen von der Geburt bis zum Tod der Schwiegermutter alles eine einzige Krise ist.“

„Mein Traum ist, ein paar Jahre finanziell abgesichert zu sein, um ganz in Ruhe arbeiten zu können. Nicht immer zu Ämtern rennen und verhandeln“, erklärt Woppe. Sein Traum hat Gründe: Das Schnürschuh-Theater bräuchte – laut Woppe – 100.000 Mark mehr im Jahr um überleben zu können. Die Sparmaßnahmen im Kulturressort schreiten fort, und so müssen sie Jahr für Jahr um ihre Zuschüsse bangen. „Wenn es kein Schnürschuh mehr geben würde“, so Kurt Woppe, „dann hätte ich keine Lust mehr auf Theater.“

spo

Das Schnürschuh-Theater feiert sein 25-jähriges Jubliäum mit der „Traum-Theater-Traum“-Revue am 1., 2., 16. und 19. September, jeweils um 20 Uhr und mit einem Straßenfest am 8. September.

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