: Schwierigkeiten bei der Schily-Lektüre
Beim Thema Zuwanderung hat die grüne Bundesspitze lange gebraucht, um der Kritik der eigenen Landesverbände zu folgen
Daniel Cohn-Bendit weiß, wie man Positionen medienfreundlich formuliert. „Ein absoluter Skandal auf europäischer Ebene“ sei der vorliegende Entwurf für ein Einwanderungsgesetz, erklärte der Europaabgeordnete auf der öffentlichen Sommerakademie von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin. Wenn dieser Entwurf tatsächlich verabschiedet werde, dann habe sich Deutschland mit dem österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider „objektiv verbrüdert“.
Im Ton ist das starker Tobak – in der Sache vermutlich demnächst Konsens bei Bündnis 90/Die Grünen. Immer lauter wird die Kritik an dem Entwurf, der „uns da vor die Füße gefallen ist“, so die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck. Für diese Position hat die Bundesebene der Partei allerdings deutlich länger gebraucht als die Landesverbände. Davon sprach die Ausländerbeauftragte am Wochenende allerdings nicht, sondern sie begab sich auf Motivforschung für die anfängliche „Jubelberichterstattung“ großer Teile der Presse: Der Gesetzestext sei „äußerst schwer zu lesen“. Kritische Punkte seien „unendlich schwer wiederzufinden“.
Inzwischen ist das offenbar auch der Bundesprominenz gelungen. Nun bringt sie konkrete Einwände vor: Der Bereich der Arbeitsmigration ist aus Sicht von Beck nicht demokratisch gestaltet, weil die Umstände der Anwerbung im Bereich der Verwaltung und nicht bei den Parlamenten angesiedelt sei. Die Idee, den Aufenthaltsstatus zu vereinfachen, sei „zunächst bestechend“. Im Entwurf führe das aber dazu, dass zahlreiche Ausländer am Ende völlig rechtlos dastünden. Den „gesetzlich normierten Übergang in die Illegalität von Staats wegen“ nannte das der bayerische Landesvorsitzende Jerzy Montag, der den Entwurf schon früh kritisiert hatte.
Auf besonders harsche Kritik stoßen die geplanten Regelungen zur Familienzusammenführung. Sie sehen vor, dass hoch Qualifizierte ihre Kinder bis zum Alter von 18, alle anderen sie im Regelfall nur bis zum Alter von 12 Jahren nachziehen lassen dürfen. Marieluise Beck: „Nach unterschiedlichem sozialen Status werden unterschiedliche Rechte vergeben. Man muss sich das klarmachen. Im 21. Jahrhundert!“
Für den Entwurf gibt es bei den Grünen eine neue Sprachregelung: Er wird nun nicht mehr als „Schily-Entwurf“, sondern als „Referentenentwurf“ bezeichnet. Vermuten die Grünen, dass er das Haus ohne Kenntnis des zuständigen Ministers verlassen hat?
Den bisher vorgesehenen knappen Zeitplan bezeichnete die Parteivorsitzende Claudia Roth als „völlig unrealistisch“. Er sei „auf keinen Fall zu akzeptieren“. Aus allen Landesverbänden lägen inzwischen Stellungnahmen vor, die deutlich machten: „So nicht.“ Er sei froh über diese klaren Worte, sagte ein Zuhörer. Diese Worte hätte er gerne schon viel früher gehört. Ob er sich denn nun darauf verlassen könne, dass es diesen Kabinettsentwurf nicht geben werde? Da lachte das Publikum. BETTINA GAUS
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