: „NPD-Verbot kaschiert Untätigkeit“
Neonazi-Aussteiger Jörg Fischer warnt: Kein Allheilmittel gegen Rechtsextremismus. Auch der „Aufstand der Aufständigen“ habe wenig gebracht. Dagegen wäre die Auflösung des Verfassungsschutzes ein „schwerer Schlag für die rechte Szene“
Interview PASCAL BEUCKER
taz: Herr Fischer, vor knapp einem Jahr rief Gerhard Schröder zum „Aufstand der Anständigen“ auf. Was ist davon aus Ihrer Sicht geblieben?
Jörg Fischer: Ein gutes Gewissen der Politik und eine Beruhigung der Bevölkerung, die sich wieder mit anderem beschäftigt. Und geblieben sind die rechtsextremen Anschläge, die keine große Aufmerksamkeit mehr erregen.
Mehr nicht?
Es gibt auch noch die uneffektiven und sonderbaren Aussteigerprogramme der Bundes- und der Länderregierungen. Außerdem natürlich das Verbotsverfahren gegen die NPD.
Das kritisieren Sie auch?
Nein, ich bin für ein Verbot der NPD. Allerdings ist das kein Allheilmittel. Man darf nicht so tun, als ob ein Verbot dieser Partei das Problem des Rechtsextremismus lösen würde. Man sollte das Verbot nicht vor sich her tragen wie die Monstranz bei der katholischen Prozession.
Auch Ihnen ist das Thema ein ganzes Buch wert.
Mir geht es um eine Repolitisierung der Diskussion, weil ich die zurzeit für außerordentlich oberflächlich und unpolitisch halte. Außerdem weise ich auf ein Versäumnis hin: Die NPD hätte längst verboten sein müssen. 36 Jahre lang hat man nichts gegen sie unternommen, obwohl seit ihrer Gründung 1964 eigentlich die Kriterien für ein Verbot erfüllt sind. Denn sie ist eine Fortsetzung der NSDAP, das ergibt sich aus der personellen Kontinuität und auch aus der Ideologie heraus. Nun argumentiert die Bundesregierung, die NPD habe in den letzten zwei, drei Jahren eine signifikante Veränderung durchlaufen, sei militanter und neonazistischer geworden. Doch diese Argumentation dient nur dazu, jahrzehntelange Untätigkeit zu kaschieren.
Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Ist es nicht verständlich, wenn es nur mit großer Vorsicht angepackt wird?
Es ist nahezu ausgeschlossen, dass der Verbotsantrag scheitert. Spätestens wenn der NPD-Verteidiger Horst Mahler sein Plädoyer hält, ist klar, dass die Partei verboten wird. Da mache ich mir keine Sorgen. Bei dem Antisemitismus, den er so von sich gibt, erinnert er mich immer stärker an Julius Streicher. Aber ich sehe das NPD-Verbot nur als ein Mosaiksteinchen, das in einen Katalog verschiedener Initiativen und Aktionen eingebaut sein muss.
Woran denken Sie da?
An eine verstärkte Präventionsarbeit – und zwar nicht nur dann, wenn das Thema Rechtsextremismus gerade in den Medien aktuell ist. Außerdem wäre eine etwas schärfere Abgrenzung gegen rechts nicht schlecht. So gibt es etwa in meinem früherem Wohnort Nürnberg eine gemeinsame Anwaltskanzlei von Rolf Hartmann und der CSU-Bundestagsabgeordneten Dagmar Wöhrl. Herr Hartmann ist jemand, der die NPD schon sehr oft, sehr engagiert und sehr überzeugt vor Gerichten vertreten hat. Ich kannte ihn aus meiner NPD-Zeit sehr gut, wir waren oft in der Kanzlei. Ich konnte mich damals nicht beklagen: Er hat seine Arbeit – vorsichtig formuliert – mit einem weit über das Normalmaß reichenden Grad an Begeisterung gemacht, den man gewöhnlich für einen Beruf hat, den man gerne ausübt.
Was sollte sonst noch getan werden?
Eine andere Maßnahme wäre der sinnvollere Einsatz von staatlichen Geldern: für verstärkte Bildungsarbeit, für die Förderung alternativer Jugendprojekte und zur Unterstützung von Menschen, die sich gegen rechts engagieren. Das ist wesentlich besser, als das Geld weiter in den Verfassungsschutz zu pumpen, dessen Auflösung ohne Zweifel ein schwerer Schlag für die rechtsradikale Szene wäre, weil dann ihr größter Arbeit- und Geldgeber auf einmal weg wäre.
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