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Konteremanzipatorische Ohnmachten

Brav und feige erzählt Christoph Starks Debütfilm „Julietta“ von einer Vergewaltigung als Nebensache im Trend-Life

Wenn die Luft zu knapp und die Aufregung zu groß wird, passiert‘s. Dann kippen Mädchen in Ohnmacht. Bei langen weihrauchverhangenen Gottesdiensten ebenso wie bei durchgekreischten Boygroup-Konzerten. Willen- und würdelos liegen sie da, bis die Sanitäter sie über Absperrungsgitter wuchten und in stabiler Seitenlage zurück ins Leben holen. Keine Spur von der Anmut und dem Kalkül routinierter Kollabiererinnen, die im 18. Jahrhundert die Tücken des luftabschnürenden Korsetts in glänzenden Performances für lukrative Opfer-Retter-Liaisons zu nutzen wussten. Dass es sich in unseren Tagen ebenso geschmeidig und folgenschwer in Ohnmacht fallen lässt, möchte uns jetzt „Julietta“, das Filmdebüt von Christoph Stark, weismachen. Auf der Love Parade haut es Julietta aus den Trend-Turnschuhen. Ob eine Pille schlecht war, ob sie dehydrierte?

Ein Jüngling im hippen Rot-Kreuz-Shirt ist das Erste, was sie sieht, als sie auf einer Spreewiese wieder zu sich kommt. Max heißt er und lächelt „süß“.

Monate später, wieder Ohnmacht und Übelkeit. Julietta entpuppt sich als neuzeitliche Marquise von O. Geschwängert von einem Unbekannten, gegen ihren Willen. Gegen ihren Willen – was das bei einer Bewusstlosen heißt, gibt der Film aufs Unglücklichste zu einer Frauen verachtenden Bedeutungslotterie frei.

Schließlich hat sie ja nicht „Nein“ gesagt, gewehrt hat sie sich auch nicht, und wie sie da gelegen hat, mit halb geöffneten Lippen, da können ja nur unmenschlich Standhafte vorbeigehen . . . Max’ Gedankenlaufband mag heiß darüber laufen. Ein Guter bleibt er trotz allem. Er bekennt sich zur Tat und reißt sich um die väterliche Verantwortung. Als Julietta aus dem heimatlichen Stuttgart nach Berlin anreist, um irrtümlich ihren Freund Jiri auf die Vaterrolle vorzubereiten, sich dann aber in Max zu verlieben, verkraftet sie die Tatsache, vergewaltigt worden zu sein, erstaunlich problemlos. Und weil Max einsieht, dass man so etwas nicht tut, auch nicht mit Ohnmächtigen, lässt sich die Sache mit einem Handschlag aus der Welt schaffen.

Brav ist das und furchtbar feige, wie der Film den Schwanz vor der Wucht und Schwere des herbeigeklaubten Themas einzieht. Das Vor-und-nach-der-Unschuld hat bei „Julietta“ die Ästhetik und den Charme einer Vorher-nachher-Clearasil-Geschichte. Und das ist nicht zuletzt für die ambitionierten und wackeren Schauspieler und Schauspielerinnen Lavinia Wilson, Barnaby Metschurat und Matthias Koeberlin und Anne Ratte-Polle bitter. Nichts zu merken von kleistscher Schizophrenie, da wird zwischen der Humanität des Beschützers und der Dämonie des Triebtäters, zwischen Konvention und Ekel, zwischen Wut und Liebe keine Welt aus den Angeln gehoben. Da geht bloß ein gefakter Rettungswagen zu Bruch.

Am Ende ist nicht nur Julietta auf der Love Parade in den Brunnen gefallen, sondern der gesamte Versuch, das Kollabieren ironisch als dramaturgisches Element für das Melodrama oder die Liebesgeschichte zurückzugewinnen. Also, liebe Mädchen, immer genug trinken und auf Jane Austen hören, für die die weibliche Ohnmacht eine Art konterrevolutionären Akt darstellte: „Dreh durch, schreie, schlage um dich, wann immer dir danach ist, aber werde bloß nicht ohnmächtig.“

BIRGIT GLOMBITZA

„Julietta“. Regie: Christoph Stark. Mit Lavinia Wilson, Barnaby Metschurat u. a. Deutschland 2001, 95 Min.

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