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Der Blutzoll einer Kirche

Die Garnisonkirche in Potsdam soll wieder auferstehen: Dass alte Kämpfer oder gar Neonazis zu ihr marschieren könnten, ist die Hauptsorge der Stadt. Die Landeskirche will ein Friedenszentrum bauen, ein Traditionsverein Preußen glorifizieren

Im leeren Raum stoßen Glorifizierung und Verdammung Preußens aufeinander

von PHILIPP GESSLER

Im „Nutzungskonzept“ wurden die Vikare fast so etwas wie poetisch: „Wo nichts mehr ist, entzünden sich die Leidenschaften. Im leeren Raum stoßen die kritiklose Glorifizierung und die kenntnisarme Verdammung Preußens aufeinander, und der totgesagte Geist von Potsdam meldet sich zurück, für die einen ein uniformiertes Schreckgespenst und für die anderen ein Garant der wieder zu gewinnenden Werte und altpreußischen Tugenden.“ Mit diesen Worten beschrieben die evangelischen Theologen Martin Vogel und Gregor Hohberg das Spannungsfeld, in dem das umstrittenste Bauprojekt Brandenburgs und seiner Hauptstadt steht: den möglichen Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche.

Die beiden Vikare legten im Auftrag der evangelischen Kirche nun ihr Konzept vor, unter welchen Bedingungen dieses Wahrzeichen der Stadt wieder erstehen könnte – oder zumindest und zunächst der 88 Meter hohe Turm des Sakralbaus. Monate lang haben die beiden Geistlichen zusammen mit elf anderen Kirchenexperten über das mögliche Wie eines Wiederaufbaus gegrübelt.

Das dauerte so lang, da es sich um einen Bau handelt, der wie wenige Gebäude in Deutschland mit zwiespältigen Bedeutungen aufgeladen ist: Das Hauptwerk des preußischen Barock, ab 1734 errichtet von dem Baumeister Philipp Gerlach, war nämlich in den Jahrhunderten bis 1945, als es von britischen Bombern fast völlig zerstört wurde, zu einem Symbol preußischen Kriegsruhms, ja Preußens schlechthin geronnen. Hier ruhten die Sakrophage des „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., des „Alten Fritz“, in einer kleinen Gruft. Im Kirchenschiff hingen die Trophäen preußischer Eroberungszüge.

Und noch schlimmer: Am 21. März 1933 feierte im Gotteshaus der neue Reichskanzler Hitler im Jubel der Masse anlässlich der feierlichen Eröffnung des Reichstages den „Tag von Potsdam“. Sein Handschlag mit dem Präsidenten und Weltkriegsgeneral von Hindenburg wurde zum weltweit beachteten Symbol der Versöhnung der preußisch-nationalen Staatselite mit den neuen braunen Herren. Spätestens seit diesem Tag war die Kirche ideologisch verseucht. Ihre Ruinen ließ deshalb die SED unter Ulbricht 1968 sprengen: ein Signal gegen „Preußentum“ und Militarismus.

Das aber sollte nicht das Ende des (Marsch-)Liedes sein. Denn der Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 271 im nordrhein-westfälischen Iserlohn, Max Klaar, gründete 1984 mit seinen Kameraden einen Verein, der sich die Wiedererrichtung der Garnisonkirche auf die Fahnen geschrieben hat – und zwar dann, wenn die „Deutsche Frage“ nicht mehr offen und Deutschland vereinigt sei. Zunächst aber sammelte die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ Geld für die Rekonstruktion des Glockenspiels der Garnisonkirche, das den Preußenfans mit dem Lied „Üb immer Treu und Redlichkeit“ nach einer Weise aus Mozarts „Zauberflöte“ das Herz übergehen ließ. Das 40-teilige Carillon, für das nicht zuletzt Vertriebene spendeten, stand zunächst in Iserlohn. Nach der Wiedervereinigung wurde es in Potsdam aufgestellt. Beim Festakt mit 10.000 Gästen, so erinnert sich Klaar, habe der damalige Oberbürgermeister, Horst Gramlich (SPD), ihm versichert: Wenn er 20 Millionen Mark zusammenbekomme, würde er für die Kirche eine Baugenehmigung kriegen.

Dummerweise machten das die Vereinskameraden prompt: Mittlerweile haben sie über 8 Millionen Mark beisammen – und der Druck auf die Verantwortlichen stieg, denn damit könnte man zumindest den Bau des Turmes beginnen. Etwa 20 Millionen Mark würde seine Errichtung kosten. Aber mit etwa 10 Millionen Mark könnte man das Werk schon einmal anfangen, betonten Klaar und Co. Das ist wohl richtig. Aber will man das überhaupt?

Darüber streitet die Stadt nun schon seit Jahren. Das hat auch damit zu tun, dass der nun pensionierte Oberstleutnant Klaar – vorsichtig gesagt – schillernde Stellungnahmen abgegeben hat: In Diskussionsbeiträgen im Internet stellte der Offizier im Ruhestand ähnlich wie der Historiker Ernst Nolte suggestiv Fragen, die alle zur Diskussion stellten, ob nicht Hitler in den Krieg getrieben worden sein könnte. Vor 1989/90 sprach er sich noch öffentlich für eine Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 aus – einschließlich der ehemaligen Ostgebiete also. Und Klaar schimpfte in einem Rundbrief vom Juni vergangenen Jahres auf der Vereins-Homepage gegen die „Wehrmachtsausstellung“, die die Mittäterschaft der Wehrmacht bei Kriegsverbrechen im Osten von 1941 bis 1945 thematisierte: „Man spuckt nicht auf die Gräber der Tapferen, die doch nur auf Befehl der Politik ihr Leben gaben.“

Mit der Pflege der Kontakte zu den alten Kameraden hatte Klaar auch zu seiner Zeit als Kommandeur in Iserlohn keine Probleme: Eine „Panzerjäger“-Abteilung der Armee Hitlers hatte in seiner Kaserne einen Traditionsraum, wo die Weltkriegsveteranen ihre „Geschichte hinterlassen“ konnten, wie der Offizier erzählt. Dort hätten sie darstellen können, wie es damals gewesen sei und welchen „Blutzoll“ sie geleistet haben. Nicht ausschließen möchte er auch, dass einige der betagten Herren vielleicht probeweise an Schießübungen seiner Einheit teilgenommen hätten.

Statt des preußischen Adlers soll ein Nagelkreuz den Turm krönen

Dass allzu viele der alten Kämpfer oder gar Neonazis zu einer wiedererrichteten Garnisonkirche marschieren könnten, das war auch die Hauptsorge der Stadtoberen, als die „Traditionsgemeinschaft“ mit ihrer Sammelaktion so überaus erfolgreich war. Oberbürgermeister Matthias Platzeck (SPD) betonte, die Kirche dürfe auf keinen Fall eine Pilgerstätte für Rechtsextremisten werden. Das hoben natürlich auch alle Parteien in der Stadt hervor. Brandenburgs Innenminister, Exgeneral Jörg Schönbohm (CDU), hinderten diese Ängste nicht, die Mitte Mai gegründete „Stiftung Preußisches Kulturerbe“ massiv zu fördern: Er übernahm, wie sie mitteilte, „offiziell die Schirmherrschaft über diese Stiftung und den Wiederaufbau der Kirche“.

Unterdessen wartete die Stadt auf die Expertise der kirchlichen Arbeitsgruppe, wie mit dem weißen Elefanten Klaars umzugehen sei. Zur Pflege der politischen Landschaft gab der große Spender „Traditionsgemeinschaft“ 10.000 Mark für das im Wiederaufbau befindliche Fortunaportal des ebenfalls gesprengten Potsdamer Stadtschlosses. Kirchen-Gutachter Hohberg jedenfalls zeigte sich noch im Mai verärgert darüber, dass die „Traditionsgemeinschaft“ mit Gründung der Preußen-Stiftung Fakten schaffen wollte. Die Aussagen Klaars auf seiner Homepage seien „sehr zweideutig“. Angesichts der zweifelhaften Vergangenheit des Offiziers i. R. habe die Kirche „große Bauchschmerzen“, das Projekt zu unterstützen.

Vielleicht deshalb ist das mit einiger Spannung erwartete Nutzungskonzept der Kirche so klar pazifistisch geprägt: Sie will den Turm der Garnisonkirche bauen lassen, allerdings gestaltet als ein „internationales Versöhnungszentrum“ samt einer Kapelle für 100 Beter. Statt des martialischen preußischen Adlers, der nach der französischen Sonne greift, soll eine Kopie des Nagelkreuzes aus Coventry die Turmspitze krönen – ein weltweit bekanntes Friedenssymbol. Eine Stiftung, in deren Gremien die Kirche die Mehrheit hätte, sollte das Zentrum leiten. Die Kosten solle im Wesentlichen aber Klaars Truppe tragen.

OB Platzeck, ein Vertreter Schönbohms und auch Stadtverordnete von CDU, SPD und Bündnisgrünen zeigen sich zufrieden mit dem Vorschlag der Kirche. Die Lokalpresse meldet „große Zustimmung“ – nur die „Traditionsgemeinschaft“ hält sich noch bedeckt: Er müsse das intern noch prüfen, erklärt Klaar. Vikar Hohberg mahnt: „Die Kuh ist noch nicht vom Eis.“ Die CDU will kommende Woche in der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag einbringen, wonach die Parlamentarier schon im November ein Votum zur Expertise der Vikare abgeben. Dabei ist selbst innerhalb der Kirche noch nicht klar, ob deren Konzept eine Mehrheit findet: Im Oktober will die Kreissynode darüber befinden, im April kommenden Jahres erst die Landessynode. Das Thema wird Potsdam also noch eine Weile beschäftigen. So schnell bauen die Preußen nicht.

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