Alles scheint möglich

Die deutschen Basketballer schlagen bei der Europameisterschaft auch den Olympiazweiten Frankreich mit 81:77 und treffen im morgigen Halbfinale nun auf Gastgeber Türkei

aus Istanbul JOACHIM KLAEHN

Sie heißen Mithat Demirel, Ademola Okulaja, Robert Garrett, Marko Pesic, Stefano Garris, Drazen Tomic, Marvin Willoughy, Stipo Papic, Stephen Arigbabu, Shawn Bradley, Patrick Femerling und Dirk Nowitzki. Und ihre Namen stehen für Multikulti im Basketball, genauer gesagt: in der deutschen Nationalmannschaft, die bei der Europameisterschaft in Antalya, Ankara und Istanbul gerade so vehement für Furore sorgt. Die „Dettmänner“ – benannt nach dem finnischen Bundestrainer Henrik Dettmann, dessen Großvater in Lübeck lebte – stehen ziemlich überraschend im Halbfinale am morgigen Samstag (18 Uhr / DSF) gegen Europameisterschafts-Gastgeber Türkei.

Eine Traumpartie für die Fans, vor allem angesichts des stimmungsvollen Ambientes im Sportpalast Abdi Ipekci , der 10.500 dann tosende Zuschauer fasst. Denn nirgendwo in Europa ist die Begeisterung für die Jagd nach Körben so groß, nirgendwo sind die Fans verrückter nach ihren Idolen. Basketball liegt am Bosporus hinter Fußball an zweiter Stelle – und Futbol ist Religion. In den deutsch-türkischen Beziehungen dreht es sich emotional mehr um die Befindlichkeit des Kreativspielers Mehmet Scholl als um die große, ohnehin nicht greifbare Politik, ganz egal, ob es dabei um den EU-Beitritt der Türkei oder das Kurdenproblem geht. Kaum verwunderlich, dass, wie Umfragen ergeben haben, der bekannteste Deutsche (freilich kurz nach Helmut Kohl) Christoph Daum heißt. Der hatte schon immer ein Näschen für „Türkiye“, und vielleicht regt sich hier auch deshalb keiner auf über die Kokain-Affäre des Rheinländers mit dem stieren Blick – Hauptsache, Besiktas Istanbul gewinnt. Dann besitzt auch der Technische Direktor gottähnlichen Status. Täglich ist Daums Konterfei in den unzähligen türkischen Blättern zu begutachten, frei nach dem Motto: Ein strebsamer Deutscher, der wieder alle(s) im Griff hat.

Von solchen Aufgeregtheiten sind die Riesen aus „Almanya“ (Durchschnittsgröße: 2,05 m) noch ein gutes Stück entfernt. Dennoch werden sie respektiert. Allen voran Mithat Demirel, in Berlin-Steglitz geboren und zweisprachig aufgewachsen. Im Land seiner Vorfahren darf der Kleinste (1,80 m) dieser EM ein großes Abenteuer erleben. Überall wird Mithat von den überaus gastfreundlichen Türken befragt und geherzt: Wie hast du es eigentlich geschafft? Fühlst du dich eher als Deutscher oder Türke? Und wer gewinnt am Samstag? „Das Interesse kann manchmal schon nervig sein“, sagt Demirel. Und schickt in der Nationalitätenfrage hinterher: „Wenn man in dieser Nationalmannschaft spielt, dann darf man sich schon eher als Deutscher fühlen.“

Warum aber sind die Botschafter des so lange am Boden liegenden deutschen Basketballs, der 1993 sensationell den Europameistertitel in München ergattert hatte und zu Zeiten Detlef Schrempfs einmal Fünfter (1985 in Stuttgart) gewesen war, in der Türkei plötzlich so erfolgreich? Der Erbe von Schrempf, NBA-Star Dirk Nowitzki, scheint die dafür passende Erklärung zu haben: „Es ist die Chemie dieser Mannschaft. Wir haben jede Menge Spaß und spielen teilweise seit fünf, sechs Jahren zusammen.“ Es ist also die kontinuierliche Entwicklung eines Kollektivs, das eigentlich seit langem schon Perspektive besitzt. Das Durchschnittsalter der deutschen Mannschaft liegt bei 24,8 Jahren; im besten Basketball-Alter sei man, so heißt es, mit Ende zwanzig, manche auch erst mit Anfang dreißig. Das lässt für die Zukunft gar noch mehr erhoffen.

Und in der Tat haben Deutschlands Korbjäger, die mit dem Halbfinaleinzug gegen Frankreich (81:77) das Ticket für die WM nächstes Jahr in Indianapolis bereits gelöst haben, große Visionen: Erst die WM, dann die EM 2003 in Schweden und schließlich die Olympischen Spiele 2004 in Athen. „Olympia ist mein Traum. Ich ärgere mich immer noch über die verpasste Olympia-Quali für Sydney“, erinnert sich Nowitzki an die „Euro“ in Frankreich 1999. Um einen Platz wurde die Traumreise damals verpasst. Diesmal aber, in diesen wunderbaren Tagen von Istanbul, scheint alles möglich zu sein, zumindest die Finalteilnahme. Gerade der Mentalitäten-Mix im deutschen Team lässt zusätzliche Kräfte, Inspirationen und Emotionen frei werden.

P. s.: Wie hießen noch die Europameister von 1993? Ach ja: Koch, Harnisch, Welp, Nürnberger, Rödl, Gnad, Baeck, Behnke ...