zwischen den rillen: Songs zum Heulen: Cake, Mercury Rev und Ben Folds
Rühren an des Pudels Kern
„Ein guter Song ist wie die Träne im Auge eines Pudels, der einen Preis bei der Weltklasse-Hundeshow gewonnen hat“, prägte John McCrea einmal einen denkwürdigen Vergleich. Da hatte seine Band Cake mit „Fashion Nugget“ gerade ihr zweites Album veröffentlicht.
Inzwischen, vier Jahre und zwei Alben später, muss man dem Quintett aus Sacramento, Kalifornien, mit einer anderen Redensart kommen: Tränen lügen nicht. Denn ihr neues Werk „Comfort Eagle“ wird keinem Pudel mehr Tränen in die Augen treiben – allenfalls in die ihrer treuen Anhänger.
Nicht, dass „Comfort Eagle“ nicht hier und da gute Lieder hätte: „Meanwhile, Rick James ...“ ist so eins – weil John McCrea seine Stimme so gekonnt durch den Song stolpern lässt wie einst in seiner Coverversion von Gloria Gaynors „I Will Survive“, der Durchhaltehymne für Greise jeden Alters. Und auch „Short Shirt/Long Jacket“ ist gelungen: Zu einer windschiefen Trompete aüßert McCrea seltsame Wünsche in Bezug auf weibliche Wesen: kurzes Hemdchen, langes Jäckchen. Aber sonst: überwiegend lau. Auch wenn das stilistische Tableau von Cake nach wie vor breit gefächert ist, die Band beherzt mit Funk und Folk flirtet und neben einem Techtelmechtel mit Country und Pop auch ein Händchen für hübsche Chöre hat – was bei „Fashion Nugget“ hell erstrahlte, reicht auf „Comfort Eagle“ nur noch zu einem Funkeln und gelegentlichem Blitzen. Eklektizismus kann eine Rolle vorwärts sein; bei Cake ist er nur noch ein Spagat zwischen den Genres.
Näher an des Pudels Kern kommen Mercury Rev: Ein zackiger Auftakt, und dann gehen auf „All Is Dream“ wuchtige Synthie-Wälle steil, und großes Gegeige: Gefühlskino für die Ohren in Cinemascope, Wohlklang in seiner exzentrischsten Form. Eine ganze Badewanne voller Harmonien haben Mercury Rev auf Lager, mit jedem einzelnen Song kann man alle Wolken vom Himmel holen. Und das macht Sänger und Texter Jonathan Donahue dann auch: „In my dreams I’m always wrong“, belcantiert er im Opener „The Dark Is Rising“.
Man kann den Alltag nicht negieren, aber mit einer schönen Akkordfolge immerhin sehr bewusst vorübergehend ausblenden. „I dreamed of you in my arms, but dreams don’t last for long“, heißt es bei Jonathan Donahue weiter: Eskapismus in seiner reflektiertesten Form. Und eine neue Dimension der Vokabel „herzzerreißend“, die unweigerlich die Frage aufkommen lässt: Kann denn Süße Sünde sein? Hier nicht: Die Zuckerbäckerei, die Mercury Rev betreiben, hat Haus- und Hofproduzent Dave Fridmann gut im Griff: Keiner der Songs franst aus und nicht alles, was man in einen packen könnte, kommt auch tatsächlich hinein. Herrlich verhuscht sind Mercury Rev auf „All Is Dream“, der Welt entschieden entrückt. Alles ist Traum.
Für verträumte Augen weiß auch Ben Folds noch immer zu sorgen. Seine Band Ben Folds Five gibt es zwar nicht mehr, Ben Folds Talent für schonungslos romantische Spinnereien aber ist geblieben. „Good morning sun, I am a bird, wearing a brown polyester shirt“, singt er in „Still Fighting It“, und in „Gone“ bringt er Chöre an den Start, die ohne Weiteres den Backenbart von ELO-Chef Jeff Lynne zum Brennen bringen würden. Dann lässt er im selben Song seinem künstlerisch bedingten Herzschmerz reichlich Auslauf und variiert das alte Thema der Identitätskrise. „I wake up in the night, all alone and it’s all right“, singt Ben Folds, und natürlich ist nichts wirklich okay – aber es wirft ihn auch nicht mehr um, als nicht mehr ganz juvenilem Springinsfeld.
„Rockin’ The Suburbs“ heißt das Album, auf dem Ben Folds definitiv mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Zum Barfußtanzen schön ist es, wie Ben Folds „Fred Jones Part 2“ mit Cake-Sänger John McCrea duettiert. Wunderbar, wie er in „The Luckiest“ die emotionale Küchenmaschine auf höchster Stufe rotieren lässt. Und im Titelsong des Albums bratzt – ein Novum bei Ben Folds! – sogar eine leibhaftige Gitarre. „I’m rockin’ the suburbs like Michael Jackson did“, singt er dazu.
MARTIN WEBER
Cake: „Comfort Eagle“ (Columbia); Mercury Rev: „All Is Dream“ (V2); Ben Folds: „Rockin’ The Suburbs“ (Epic – erscheint am 17. 9.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen