: Spanische Geschäftsgebaren
Ein Untersuchungsausschuss soll klären, ob hohe Politiker der Regierungspartei an Finanzskandal beteiligt sind
MADRID taz ■ Haben Spaniens Aufsichtsbehörden schlicht gepennt? Oder steckten sie mit dem Betrüger des Investmentfonds Gescartera unter einer Decke? Dieser Frage geht seit gestern ein Untersuchungsausschuss des spanischen Parlaments nach, der mit den Stimmen von Regierung und Opposition eingerichtet wurde. In den nächsten Monaten sollen 70 Personen vorgeladen werden – darunter Wirtschaftsminister Rodrigo Rato und seine Vorgänger aus den Jahren nach 1992.
Der Skandal kam pünktlich zur Sommerpause an die Öffentlichkeit. Am 15. Juni ließ das Wirtschaftsministerium der konservativen Regierung von José María Aznar den Fonds Gescartera schließen. Täglich zieren seither neue Enthüllungen die Titelblätter der Tageszeitungen. 18 Milliarden Peseten (108 Millionen Euro) an Einlagen haben sich in nichts aufgelöst. Hinzu dürften weitere Beträge in Schwarzgeld kommen, die aus verständlichen Gründen niemand reklamiert.
Zu denen, die ihr Geld verloren haben, gehören zahlreiche hohe Politiker, aber auch Institutionen wie die Armee, die Guardia Civil und die katholische Kirche. „Pech beim Spekulieren“, gibt Gescartera-Chef Antonio Camacho lapidar als Grund für das Loch in der Kasse seiner Agentur an.
Eine ganz normale Pleite und der Versuch im großen Stil Steuern zu hinterziehen, sollte man denken, wären da nicht zahllose Ungereimtheiten. So erhielt Gescartera trotz negativer Berichte der Börsenaufsicht zum Jahresbeginn die Genehmigung direkt als Broker tätig zu werden.
Die Chefin der Aufsichtsbehörde traf sich mehrmals mit Camacho und Gescartera-Direktorin Pilar Gimenez-Reyna. Eingefädelt hatte die Abendessen vermutlich der Bruder von Giménez-Reyna, Enrique, seines Zeichens Staatssekretär für Steuerpolitik. Kurz nach der Schließung von Gescartera nahm er seinen Hut. „Aus persönlichen Gründen“, wie die Regierung verlauten ließ.
Mittlerweile stellte sich heraus, das Gescarteras Besitzer Camacho, der selbst vor Gericht zugab, „von den Finanzmärkten keine Ahnung zu haben“, unzählige Politiker bestochen hat. Darunter befindet sich der Exabgeordnete der regierenden Partido Popular und Vizepräsident der Börsenaufsicht, Luis Ramallo.
Was für die sozialistische Opposition „der größte finanzpolitische Skandal seit Ende der Diktatur“ ist, ist für die konservative Regierung nichts weiter als „ein krimineller Akt einiger weniger“. Wirtschaftsminister Rato verweist immer wieder darauf, dass er es war, der die Agentur schließen ließ. Er wirft den Sozialisten vor, sich „für ihre eigenen Skandale rächen“ zu wollen.
Rato hat dabei vor allem zwei Skandale im Blick. Unter der Regierung von Felipe González finanzierte sich die sozialistische Partei PSOE mittels der eigens gegründeten Beraterfirmen Filesa, indem sie bei Auftragsvergabe Bestechungsgelder von Großbetrieben einstreichen ließ. Und im staatseigenen Finanzinstitut Ibercorp spekulierten hochrangige Sozialisten, darunter der Chef der spanischen Notenbank Mariono Rubio, fröhlich mit Geldern, die ihnen gar nicht gehörten. Anders als jetzt die Regierung von José María Aznar, stimmten die Sozialisten damals gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
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