: Das Böse rollt
von BARBARA OERTEL
„Es ist ein sehr schwieriger Job, Präsident zu sein“, säuselt der Präsident, nimmt demonstrativ ein karges Frühstück in ländlicher Umgebung zu sich, rezitiert Gedichte und mutet seinen Zuschauern auch noch Kostproben seiner Sangeskunst und Kompetenz auf dem Akkordeon zu. Das Fernsehen zeigt eine „Dokumentation“ über den weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. „Ein Präsident hat keinen Tag frei“, teilte er darin noch mit. „Weder einen Tag noch eine Nacht.“
Der Nimmermüde
Doch wer meint, daraus auf Ermüdungserscheinungen schließen zu können, kennt Lukaschenko nicht. Im Gegenteil: Der ehemalige Kolchosdirektor, der sich unlängst zu seinem 47. Geburtstag in alter Sowjetmanier bejubeln ließ, will sich am kommenden Sonntag für weitere sieben Jahre zum Präsidenten wählen lassen. Der Sieger der Wahl steht schon fest: Lukaschenko.
Das Terrain „für seinen Erfolg“ hat der im Volksmund „Batka“ (Väterchen) Genannte, der seit dem unfreiwilligen Abgang des jugoslawischen Exstaatschefs Slobodan Milošević den Titel des letzten Diktators in Europa für sich reklamieren kann, schon längst bereitet – und nicht erst seit gestern. Bereits im November 1996 hebelte Lukaschenko in einem fragwürdigen Referendum die Verfassung aus und degradierte das Parlament zu einer Schwatzbude präsidentenhöriger Abgeordneter. Wenn sich dennoch Widerstand regte, wurde er radikal und wirksam gebrochen: Mit horrenden Geld- und Gefängnisstrafen gegen Vertreter unabhängiger Medien und Nichtregierungsorganisationen. Wo das noch nichts nützte, schreckten die Handlanger des Regimes auch nicht vor Bedrohung, Erpressung und physischer Gewaltanwendung zurück.
Mittlerweile verdichten sich Hinweise, dass im Kampf gegen den politischen Gegner auch noch ganz andere Methoden zum Einsatz gekommen sein könnten. Unter den Überschriften „In Weißrussland verschwinden und sterben Gegner Lukaschenkos“ und „Es gibt Todesschwadrone“ dokumentierten die unabhängigen Zeitungen Den und Narodnaja Volja unlängst Protokolle von Aussagen, wonach verschwundene Oppositionelle, wie der ehemalige Vizeregierungschef Viktor Gontschar, Exinnenminister Juri Sacharenko oder der Kameramann des russischen Fernsehsenders ORT, Dmitri Savadskij, im Regierungsauftrag von 30 Mitglieder neiner Polizeisondereinheit zum Schweigen gebracht worden sein sollen. „Wer gibt Juri Savadskij den Vater zurück?“, fragte Den und bildete dazu das Foto eines bedrückt blickenden kleinen Jungen ab.
Doch die Hoffnung, derartig explosives Material könnte den Weißrussen den wahren Charakter ihrer Führung ins Bewusstsein rücken und vielleicht ihre Wählerentscheidung beeinflussen, trügt. In einem Land, dessen Bevölkerungsmehrheit sich im täglichen Überlebenskampf verschleißt, sind Fragen wie Grund- und Menschenrechte, freie und faire Wahlen sowie Gewaltenteilung allenfalls ein Randproblem. Stattdessen bringen Appelle an vergangene, paradiesische Sowjetzeiten, Ordnung und Ruhe sowie die regelmäßige Zahlung von Hungerrenten Pluspunkte – eine Klaviatur, die Lukaschenko wie kein zweiter Politiker in Weißrussland zu bespielen versteht.
Nicht zuletzt diese Volkstümelei und die Möglichkeit der Identifikation mit einem Mann mit überschaubarem intellektuellem Potenzial sichern dem Präsidenten immer noch eine hohe Zustimmung bei der älteren Landbevölkerung, die ihm in Umfragen Werte von bis zu 40 Prozent beschert.
Der tapfere Apparatschik
Dennoch wird das Regime nervöser, je näher der Wahltag rückt. Mit ein Grund dafür ist die Opposition, die sich diesmal für weißrussische Verhältnisse selbst übertroffen hat. Noch bis vor kurzem heillos zerstritten, volks- und realitätsfern – ein Bild, das einige Parteien durch ihren Boykott der Parlamentswahlen vom vergangenen Oktober noch komplettierten –, dafür aber stets auf dem Posten, wenn es darum ging, westliche Hilfsgelder abzugreifen, ist es Lukaschenkos Kritikern gelungen, einen gemeinsamen Kandidaten zu präsentieren.
Der Hoffnungsträger, der Chef des staatlichen weißrussischen Gewerkschaftsbundes und Nomenklaturist par excellence, Wladimir Gontscharik, dem Umfragen zwischen 12 und 20 Prozent der Stimmen geben, ist so bieder wie farblos. Dennoch versucht der 61-Jährige, der mit Lukaschenko an der Dorffront wetteifert und sich für seine Wahlkampfbroschüre samt Mutter vor einem Holzhaus in seinem Heimatort ablichten ließ, Profil zu gewinnen. Nicht nur, dass er selbst auf einer Pressekonferenz mit dem delikaten Material über die Todesschwadrone aufwartete und eine umfassende Aufklärung verlangte. Unter der Losung „Alles Gute unserem Haus“ mahnt er auch nachdrücklich grundlegende Reformen der bestehenden Institutionen an, verspricht eine Anhebung des Lebensstandards und will die Tür nach Europa wieder aufstoßen.
Die hat Lukaschenko in den vergangenen Jahren erfolgreich verbarrikadiert. So ist das Land im Europarat nicht über einen Beobachterstatus hinausgekommen, die Europäische Union hat mehrere Programme im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens eingefroren. Lediglich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Staatsmacht zähneknirschend duldet, versucht seit Jahren, zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln.
Der Hürdenlauf
Doch Gontschariks Message an den Mann und die Frau zu bringen ist im Reiche Lukaschenkos alles andere als einfach. Denn um seinen Gegner zu behindern, ist dem Regime kein Mittel zu plump. „Die Staatsmacht führt einen Kleinkrieg gegen meine Kandidatur“, ließ sich Gontscharik jüngst vernehmen. „An einem Tag wird der Strom abgedreht, am nächsten organisieren die Behörden in letzter Minute einen Markt ausgerechnet auf dem Platz, wo ich mit Wählern reden wollte.“ Als Gontscharik sich erdreistete, trotz staatlich verordneten Markttreibens zum Wahlvolk zu sprechen, kassierte er eine offizielle Verwarnung – bereits zum zweiten Mal.
Kurz zuvor war der Arbeiterführer gerüffelt worden, weil Schnüffler im Staatsdienst im Gewerkschaftssitz der Stadt Mogiljow 3.000 T-Shirts mit der Aufschrift „Sag nein zu dem Idioten! 9. 9. 2001“ sowie gedrucktes Material für die Wahlwerbung, das nicht mit Mitteln der Zentralen Wahlkommision hergestellt worden war, gefunden hatten. Laut weißrussischem Wahlgesetz reichen zwei Verwarnungen aus, um einen Kandidaten von der Liste zu streichen.
Die Blockade
Ob Gontscharik im Rennen bleibt oder Lukaschenko letztendlich nur gegen sich selbst antritt, macht ohnehin kaum einen Unterschied. Denn die Wahlfarce wird mit jedem Tag offensichtlicher. Das bekommen auch die internationalen Wahlbeobachter der OSZE zu spüren, die erst mit Verzögerungen einreisen konnten.
Den Wahlkommissionen, die zu hundert Prozent mit Lukaschenko-Anhängern besetzt sind, auf die Finger zu schauen, ist so gut wie unmöglich. So ist es den Beobachtern etwa untersagt, sich den Tischen, an denen ausgezählt wird, zu nähern. Auch die Überprüfung der Ergebnisse, die die örtlichen Kommissionen an die Zentrale weiterleiten, ist verboten.
Dabei gäbe es in der Tat einige interessante Details zu beobachten, wie beispielsweise die Vorwahlen, die am vergangenen Dienstag begonnen haben und fünf Tage dauern. Abstimmen darf jeder, der am Wahltermin verhindert ist. In der Vergangenheit wurden ganze Belegschaften von Betrieben vor dem Wahltag zu den Urnen gekarrt und unter Androhung von Lohnentzug zur Stimmabgebe für den „richtigen“ Kandidaten gezwungen. Dass die OSZE hier ein Einfallstor für massiven Wahlbetrug sieht, ist kaum verwunderlich. Ohnehin könnten die Tage der Mission in Minsk gezählt sein. Einen Auftritt vor drei Tagen in Minsk nutzte Lukaschenko zur verbalen Frontalattacke auf den Chef der Organisation. „Hans-Georg Wieck wartet, dass Lukaschenko ihn vor der Wahl rausschmeißt“, sagte er. „Aber wir schmeißen ihn nach der Wahl raus.“
Sollte es tatsächlich dazu kommen, müsste der Westen wohl oder übel sein Konzept für einen weiteren Umgang mit Minsk überdenken. Doch das fällt schwer. „Der Westen hat nicht verstanden, was sich in Weißrussland und überhaupt in der ehemaligen Sowjetunion abspielt“, sagt der Rektor der Europäischen Geisteswissenschaftlichen Universität in Minsk“, Anatoli Michailov: Lukaschenko sei ein Diktator, und die Finanzierung einiger Austauschprogramme helfe da nicht viel weiter. „Nötig ist eine Strategie“, sagt Michailow. „Sollte sich der Westen jetzt abschotten, würde damit am allerwenigsten Lukaschenko bestraft.“
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