: Moskau ist weit
Nur der Amur trennt Chabarowsk von China. Alles, was von jenseits des Ufers kommt, empfinden viele der rund siebenhunderttausend Einwohner in der ostsibirischen Stadt, die 1858 als russischer Militärposten gegründet wurde, als Bedrohung: die fleißigen chinesischen Bauarbeiter, die als geschickte Handwerker gelten und den einheimische Arbeitskräften die Jobs streitig machen; die fliegenden Händler, die schwer bepackt von den Fähren steigen und die Märkte mit ihren Waren überfluten; vor allem aber die Drogenhändler.
Das Klima aus Angst und Misstrauen, das das russisch-chinesische Verhältnis hier, 8.500 Eisenbahnkilometer von Moskau entfernt, bestimmt, hat Tradition. Immer wieder bekriegten sich Russland und China wegen Grenzstreitigkeiten, bis heute wecken viele Inseln im kilometerbreit mäandernden Amur Begehrlichkeiten auf beiden Seiten, ihr Schicksal ist nicht entschieden.
Chabarowsk ist Teil des Fernen Ostens Russlands mit all seinen Problemen: Arbeitslosigkeit und Armut sind allgegenwärtig. Ein Großteil der sowjetischen Militärtechnik wurde hier hergestellt. In Chabarowsk produziert nur noch jeder fünfte Rüstungsbetrieb. Früher kamen Atom-U-Boote aus der Region, seit dem Untergang der „Kursk“ im vorigen Sommer sind die Waffenschmieden von Chabarowsk froh, dass sie dafür nicht in die Pflicht genommen werden können. Einzig verbliebener militärischer Stolz ist ein Jagdflieger, die SU 37.
Sibiriens Pioniere von einst, die gekommen waren, für gutes Geld die Reichtümer der entlegenen Region – mit ihren heute rund 350 Goldminen zu erschließen, sie gehen fort, um anderswo ihr Glück zu finden. Fast eine Million Menschen aus der Region Chabarowsk, die zweimal die Fläche Deutschlands umfasst, ist westwärts gezogen, in den europäischen Teil Russlands hinter den Ural.
Gouverneur Viktor Ischajew würde am liebsten eine Mauer bauen. Wie seine Wähler fürchtet er die schleichende Übernahme des Gebiets durch die Chinesen. „Das tun sie bereits. Sie studieren in unseren Instituten, sie heiraten hier, gründen Familien, eröffnen Betriebe. Natürlich muss man die Beziehungen zu den Nachbarn auf zivile Weise regeln, aber Moskau ist weit und China ganz nah.“ SABINE ADLER
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