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Arrest in Genua statt Abitur in Wuppertal

Björn W. (18) soll eine Bank verwüstet haben. Obwohl es dafür nur schwache Indizien gibt, wird er nicht freigelassen

Nein, von den Schlägen der Uniformierten mag er nichts Konkretes berichten. Jedenfalls noch nicht. „Aber wenn die anderen von Misshandlungen auf der Wache und in den ersten Tagen im Gefängnis Marassi erzählen“, sagt Björn W. der taz, „dann lässt sich das natürlich ganz ähnlich auf mich übertragen.“ Seiner Mutter hat er erzählt, er sei geprügelt und in die Rippen getreten worden, bei der Verhaftung, im Gefängnis. Immer wieder.

Björn W. ist achtzehn Jahre alt. Sieben Wochen nach den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Genua wird der Abiturient aus Schwelm bei Wuppertal noch immer von der italienischen Justiz festgehalten, so wie vier weitere deutsche Globalisierungskritiker, die noch in Untersuchungshaft sind. Björn W. ist seit letztem Samstag immerhin raus aus dem Gefängnis: Er steht nun unter Hausarrest, wohnt bei einer italienischen Familie. „Klar, hier geht es mir erst mal besser“, sagt der Jugendliche, „aber an der Ungewissheit, dem Ohnmachtsgefühl und Angst hat sich nichts geändert.“ Seine Mutter formuliert es drastischer: „Ich weiß nicht, wie lange er es hinter Gittern noch ausgehalten hätte.“

Acht bis fünfzehn Jahre Haft drohen Björn W. gemäß Paragraf 419 des italienischen Strafgesetzbuches, schlimmstenfalls. Er soll an der Plünderung und Verwüstung einer Bankfiliale beteiligt gewesen sein. Als Björn W. mit zwei Kumpels in einem Park aufgegriffen wurde, will die Polizei eine Eisenstange bei ihm aufgefunden haben – Tage nach der angeblichen Tatbeteiligung. Einer der beiden Mitverhafteten soll zudem einen Stempel der Bank mit sich geführt haben, das Hauptindiz, das gegen die drei jungen Männer spricht. Die Beschuldigten argumentieren, die Polizei habe ihnen Stempel und Stange „auf der Wache untergejubelt“. Björn W.s Anwalt hält eine Verurteilung für höchst unwahrscheinlich: Er wundere sich, dass sich überhaupt ein Richter dazu hergegeben habe, die Haft zu verlängern. So oder so wird der Jugendliche aber wohl das 13. Schuljahr wiederholen müssen.

Ist Björn W. ein militanter Demonstrant? Er sei in der autonomen Szene „kein Unbekannter“, sagt der polizeiliche Staatsschutz Wuppertal. In diesem Jahr wurde W. zu 20 Sozialstunden verurteilt, weil es bei einer antifaschistischen Demonstration, an der er teilnahm, zu Rangeleien kam. Sein Lehrer Dietmar Schäfer, der Björn W. seit vier Jahren unterrichtet, beschreibt den Teenager indes als „höflichen und rücksichtsvollen Menschen, idealistisch und geprägt von der Hoffnung auf eine bessere Welt“. Björn habe „eine tiefe innere Haltung gegen die Anwendung von Gewalt“ offenbart. Auch seine Mitschüler von der Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal mögen nicht glauben, dass er ein Gewalttäter ist: Sie organisierten vor zwei Wochen eine Demonstration für seine Freilassung, zu der 600 Menschen kamen. Auch die Bundestagsabgeordneten Ulla Lötzer (PDS) und Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) setzen sich für Björn W. ein. Lötzer forderte Außenminister Joschka Fischer in einem Brief auf, seine Bemühungen für eine Freilassung zu intensivieren.

Er habe sich politisiert, weil viele seiner Altersgenossen fremdenfeindlich seien, erzählt Björn W. „Die Erfahrungen im Knast helfen mir, die Situation von Menschen, denen es noch viel schlechter geht, wie Abschiebehäftlingen, ein Stückchen besser nachvollziehen zu können.“

MARCUS MEIER

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