piwik no script img

Sparsam und konzentriert

■ „Porcherie“ beim Laokoon-Festival auf Kampnagel

„Die Bourgeoisie ist keine soziale Klasse, sondern eine Krankheit“, sagt Ida in einem langen Monolog zu Beginn von Pier Paolo Pasolinis Porcherie, zu deutsch Schweinestall. Schnell wird deutlich, „Porcherie“ entstand 1967, als in Deutschland wie in Frankreich Revolutionäres hochkochte.

Die Deutschlandpremiere des Stückes, aufgeführt von der französischen Theatergruppe ThéÛtre Gérard Philipe de Saint-Denis, brachte gutes altes Schauspiel auf die Kampnagelbühne beim Sommerfestival Laokoon. Dem Zuschauer verlangte sie ungewohnte Konzentration ab, auf die französische Szenerie und die deutschen Übertitel. Regisseur Stanislas Nordey ist den Hamburgern bestens bekannt, hat er doch der Hamburgischen Staatsoper die umjubelte Eröffnungspremiere der vergangenen Spielzeit Tri Sestry von Peter Eötvös beschert. Auch hier arbeitete er sehr konzentriert mit dem Textmaterial und sparsamen Bildern.

In Porcherie stellt Nordey seine Schauspieler als soldatisch strenge Statisten in den meist schwarzen Raum. Darin bewegen sie sich langsam, aber sorgfältig choreographiert. Gestenreich, wie Blinde, deklamieren sie den Textwust ins Publikum, dabei tauschen sie kaum Blicke aus. Gekonnt verlagert Nordey damit das Gewicht von der Szene auf den wundervollen poetischen Text von Pasolini.

Der Italiener siedelte die Handlung mitten in Deutschland an. Industriellensohn Julian, sensibel dargestellt von Olivier Dupuy, will sich nicht in die elterliche Firma einbringen, aber auch nicht mit seiner jungen Freundin Ida – kraftvoll gespielt von Marie Cariès – ordentlich gegen das System revoltieren. Julian meidet erst eine Demo, dann auch die Geliebte und sucht lieber die Gesellschaft der Borstenviecher im väterlichen Stall.

Als sein Vater sich mit dem Ex-Nazi Herdhitze zusammentut, hängt endgültig Mistgeruch über dem Rheinland, und es kommt zum Skandal. Nur in kurzen Momenten, dann aber mit doppelter Wirkung, weicht Stanislas Nordey von seinem strengen Konzept ab, wenn die Statisten, die zuerst weiße Kittel tragen, diese plötzlich wegwerfen und entfesselt in Glamouranzügen herumtanzen. Im Vertrauen auf die Sprachkraft personifiziert er in der Figur des Julian eindrucksvoll jemanden, der sich zwischen der Rolle als Konformist und verhinderter Revoluzzer nicht entscheiden will und schließlich als Schweinefraß endet. Annette Stiekele

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen