: Sex auf hohem Niveau
„Dieser Religion kann man sich nicht verschließen“, bekennt unser Autor und tritt dem Orden von erwählten Basketballern bei, den Dirk Nowitzki führt, „der Erleuchtete, das neue Licht“. Eine Ode
von HENNING HARNISCH
Wir müssen diesen Augenblick festhalten, denn er war zu schön, um wahr zu sein.
Ein langer Augenblick war das, tausend schöne Dinge sind passiert. Hast du Basketball gesehen?, fragt der Vater, fragt der Onkel, fragt der Opa, fragen alle den Studenten, der nach Hamburg heimfährt. Und das erzählt der Student, nachdem er sich aufrichtig echauffiert hat, dass sich das Deutschlandradio, diese Schnarcher, während der Verlängerung aus dem Spiel zwischen Deutschland und der Türkei verabschiedet hat. Aber wer sitzt auch im Auto und hört Radio, wenn das Fernsehen eine Serienstaffel anbietet, die so zwingend funktioniert, dass sie nicht vom Fernsehen geplant worden sein kann. Die Frage, hast du Basketball gesehen, die eine neue im deutschen Fernsehen ist, wird auf einmal zu einem Austausch von Gruppenerfahrungen, wenn man sich gemeinsam vor dem Fernseher versammeln muss.
Die, die Liebe erlebt haben, sie werden es bestätigen: Die Reihung Kroatien, Griechenland, Frankreich, Türkei steht von nun an für Kennenlernen, Verlieben, Augenblicke genießen und – auch das gehört dazu – für die Konsequenzen des Einlassens. Der souveräne DSF-Kommentator Frank Buschmann, die gelungene Symbiose aus Basketball und Werner Hansch, er hätte sich gar nicht mühen müssen, das Fernsehen musste nur dokumentieren, die Dramaturgie steckte im Ereignis und den ausführenden Akteuren.
Arigbabu, Demirel, Femerling, Garrett, Garris, Okulaja, Papic, Pesic, Tomic, Willoughby – es ist einfach, sich in einen multikulturellen Werbespot zu verlieben, der nicht auf Teufel komm raus Berlin featuren will, sondern ganz organisch Eleganz, Energie und Coolness vorführt. (Ein Witz am Rande: Die steifen deutschen Bewegungen mussten erst in Form eines 229 Zentimeter langen Mormonen eingebürgert werden. Aber, kein Witz, als ob man auf einmal Brasilien im Fußball wäre, musste man sich über den Exoten freuen).
Hast du Basketball gesehen? Bevor der Häuptling besungen wird ein Dank an den Trainer Hendrik Dettmann, diesen modernen Finnen, der uns all diese neuen Spielergesichter auf dem Feld zeigte. Seine Mimik und Haltung, die stets zu sagen schien, „Was wisst ihr schon von finnischen Nächten – oder von deutschen Funktionären“, übertrug er auf seine Spieler. Das ist seine wahre Leistung. Hank Williams singt: Praise the lord, I saw the light!
Auch ich habe das Licht gesehen, es ist zwei Meter elf groß und wiegt 107 Kilo. Ich dachte, ich hätte den Messias gesehen, doch Detlef Schrempf, der Mann der sechzehn Jahre in der NBA spielte und es wissen muss, sagt: Dirk Nowitzki wird viel besser als ich. Nowitzki, das neue Licht, bekehrt die Gegner durch seine Ausstrahlung und seine Kraft. Seine Jünger wissen, warum sie mit ihm sind, gibt er ihnen doch den Glauben. Und er, der Erleuchtete, er gibt ab. Dieser Religion kann man sich nicht verschließen, vor allem nicht als Gebeutelter, als Nichts. Denn ab und an muss der Verliebte geschüttelt und gerüttelt werden. Ihm muss gesagt werden, dass es nicht normal ist, Sex auf diesem Niveau zu haben; nicht als deutsche Basketball-Nationalmannschaft, nicht ihr als Zuschauer. Es ist nicht normal, ohne Vorspiel Spiele auf diesem Niveau zu führen und zu gewinnen. Es ist nicht normal, einen 20 Punkte Rückstand gegen Griechenland aufzuholen, den Zweiten der Olympiade, Frankreich, zu schlagen oder vor 11.000 Aufgeputschten cool Systeme auszuspielen. Das ist nicht normal, das ist plötzlich, das ist unerwartet, das ist neu; und das ist einfach gut.
Hast du Basketball gesehen? Hast du gesehen, wie Nowitzki das Spiel erklärte, wie Pesic, Femerling und Okulaja das verstanden haben, und wie die anderen, alle anderen, diese finnischen Stoiker, da waren, hast du das gesehen? Doch, wer um die Liebe weiß, der wird mir zustimmen, Gott sei Dank trennt man jetzt die Verliebten für eine Weile, Gott sei Dank!
Henning Harnisch (33) hat den deutschen Basketballern des Jahres 2001 etwas voraus: Er gewann 1993 den EM-Titel im Finale gegen Russland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen