: Fehlbesetzt in der eigenen Rolle
Von Pontius nach Pilati: Rudolf Scharping ist der Prototyp des identitätslosen Berufspolitikers. Nur weiß er diese Rolle nicht so gut zu spielen wie seine Kabinettskollegen. Das so Peinliche an ihm ist sein angestrengter Versuch, zu Identitätsentwürfen zu kommen, die allein ihn selbst überzeugen
von MICHA HILGERS
Der Mann hat eine tiefe Stimme. Jedenfalls spricht er so. Er ist ein wichtiger, ebenso fähiger wie arbeitsamer Politiker. Findet er. Gegenwärtig ist er glücklich verliebt. Sagt er von sich. Und das alles inszeniert er lärmend, immer einen Zacken zu doll. Kein Mensch würde sich um Scharpings neue Liebe scheren, wenn er sie uns nicht so penetrant aufdrängen würde. Mit zitternden Händen und leicht bebender Stimme bei Biolek zum Beispiel. Ein Mann spielt einen selbstsicheren Mann. Die Rolle des Rudolf Scharping ist mit Rudolf Scharping katastrophal schlecht besetzt. Und weil er sie so schlecht spielt und nur ein einziger ihm seine Rolle abnimmt (oder vielleicht noch seine Gräfin), wollen wir ihn nicht mehr sehen. Denn alle kämpfen mit der Pein der Schamgefühle – bis auf Rudolf Scharping, der das alles gar nicht verstehen kann. Scharping exhibitioniert einen Persönlichkeitsentwurf, den er nicht ausfüllt.
Doch wer ist dieser Rudolf Scharping? Der hölzernde Hampelmann, der nie gelöst sein kann, Stock im Anzug und steif im Becken? Oder der von seinen Emotionen fortgerissene Verteidigungspolitiker, der mit fast versagender Stimme von abgeschlagenen Köpfen sprach, die Serben angeblich als Fußbälle nutzten, gar einen vermeintlichen Hufeisenplan präsentierte, als Beweis für die Völkermordabsichten der Serben? Der wackere Parteisoldat, der, nachdem ihn der Mannheimer Parteitag gerade abserviert hatte, sogleich wieder an die Arbeit ging? Oder der von von seinem Serotoninhaushalt geschüttelte Liebestolle?
Scharping ist leer. Er ist der stocksteife Pinocchio, um nicht der vor überbordenden Affekten bebende Momentmensch zu werden, der die Kosovo-Intervention aus einer Gefühlspose heraus rechtfertigt. Er ist der posierende Liebesdarsteller, weil er andernfalls wiederum zur anzugumhängten wandelnden Stele mutiert. Scharping oszilliert zwischen Selbstentwürfen, die er doch nicht auszufüllen vermag. Zur Bundeswehr ging er, „weil ich an Kennedy dachte“. Als Bewunderer von Willy Brandt begann er alsbald, sein Vorbild zu imitieren in Sprache, Gang und Gestus. Als Kanzlerkandidat lernte er Bill Clinton kennen und entdeckte gleich „Parallelen, die ja unübersehbar sind“. Das so unerträglich Peinliche an Scharping ist sein angestrengter Versuch, zu Identitätsentwürfen zu kommen, die allein ihn selbst überzeugen und beständig in einer Mischung aus Schützenkönig und Willy Brandt enden.
Das alles bemerkt nur einer nicht. Scharpings schamlose Schaumschlägerei in der Öffentlichkeit gründet in seinem Mangel an Empathie: der Fähigkeit, sich in sich selbst und andere einzufühlen. Ein Verteidigungsminister, der am Ende immer nur sich selbst verteidigt, aber unfähig ist, die Befindlichkeiten einer Mediengesellschaft zu verstehen. Weil er sich selbst nicht fühlt. Und deshalb mit Identitätsprothesen operiert, an die nur er selbst glaubt. Die Tragik des Rudolf Scharping ist die eines Menschen, der innerlich leer bleibt und sich mit Versatzstücken füllt, die er eben darum so exhibitionistisch und lärmend darstellen muss. Und deshalb nicht versteht, warum in aller Welt ihm angeblich alle sein trauriges Glück neiden. Scharping lebt in Posen, die er für seine Identität hält, wenn er selbstmitleidig und selbstgerecht verteidigt, wie er unter der Last seines Amtes mit der Flugbereitschaft von Pontius nach Pilati fliegen musste.
Dabei ist er stets geblieben, was er immer schon war. Ein Mann, der scheitert, wenn er Erfolg hat. Als Kanzlerkandidat. Als Parteichef. Als Fraktionschef. Und nun als Verteidigungsminister. Nie verstand er, dass er durch seine Selbstgerechtigkeit andere gegen sich aufbrachte. Deshalb war Rudolf Scharping der einzige, der vom Mannheimer Parteitag wirklich überrascht wurde.
Ein tragisches Einzelschicksal also? Dann wäre Scharping nicht immer wieder in wichtige Ämter gekommen, hätte in der SPD nicht reüssieren können. Das größte Ärgernis an Scharping ist seine prototypische Spiegelfunktion: Ohne wirkliche politische Anliegen ist er der Parteikarrierist, der Politik kann und sonst nichts. Ein Berufspolitiker, dessen politische Identität so leer ist wie seine persönliche. Scharping steht für nichts außer für einen Politiker neuen Typs. In seinen Selbstverteidigungsposen ähnelt er wie ein eineiiger Zwilling den Kanthers und Glogowskis, Kohls und Merkels, die von Hetz- und Treibjagden sprechen, wenn es um eigenes Fehlverhalten geht. Den Mangel an Schuld- und Schamgefühlen über eigenes Tun teilt er mit ebenjenen. Doch Kanther war ein strammer Rechter, Kohl ein erklärter Europäer. Scharping aber steht nur für Scharping.
Wirklich unverzeihlich nicht nur für die Genossen, sondern für die rot-grüne Koalition ist Scharpings Inhaltsleere, die den Mangel an politischen Inhalten und Konzepten der Koalition so frappierend widerspiegelt. Seine miserable Reality-Show wirft ein Schlaglicht auf die Polit-Performance einer Regierung, die aufgebrochen war, vieles besser zu machen. Die politisch brisante Zumutung von Scharpings Love-Soap ist die öffentlich aufgeworfene Frage, was diese Regierung repräsentiert.
Doch der neue Politikertypus ist nicht etwa der exhibitionistische Badehosen-Ballermann auf Mallorca. Es ist der Mann ohne Eigenschaften, die Frau, die sich rasch an alles anpasst, ohne je eine Identität gehabt zu haben. Wer Brandt nur imitieren kann, dem fehlen die Ecken und Kanten des persönlichen Profils, das bei der Vermittlung politischer Botschaften authentisch wirkt. Scharping muss gehen, weil er diesen Pseudopolitiker so viel schlechter spielt als all die anderen, die so tun, als besäßen sie politisches Format jenseits der Badehose oder des Jogginganzugs, auch ohne Designer-Anzüge oder Liebschaften. Gerade noch gegen Tobinsteuer oder neoliberalistisch verformt, springen SPD und Grüne, Schröder und Fischer unter dem Eindruck einer sich wandelnden öffentlichen Meinung auf den Antiglobalisierungszug auf. Doch im Unterschied zu Scharping wissen sie sich besser zu inszenieren.
Scharpings Glück bleibt es, dass er so steif ist, weil er sich sonst auflösen würde. Das Unglück der Regierungskoalition hingegen ist ihr drohender Zerfall angesichts der Unklarheit, für welche Ausländer-, Balkan-, Gesundheits-, Arbeits- oder Rentenpolitik sie steht.
Von Micha Hilgers erscheint in diesen Tagen die Studie: „Leidenschaft, Lust und Liebe. Psychoanalytische Ausflüge zu Minne und Missklang“. Vanhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, 150 Seiten, 29,79 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen