: Mit quietschenden Reifen
Der manchmal ungestüme Australier Lleyton Hewitt gewinnt gleich das erste Grand-Slam-Finale seiner Karriere. Derweil glaubt Altmeister Pete Sampras, die falsche Melodie gehört zu haben
aus New York DORIS HENKEL
Im ersten Moment sah es so aus, als ziehe ihm der Schock des Sieges die Beine weg. Kaum war der letzte unerreichbare Return gespielt, lag Lleyton Hewitt schon flach auf dem Boden. Es war in gewisser Weise die einzig logische Reaktion, denn den großen Pete Sampras in weniger als zwei Stunden 7:6, 6:1, 6:1 zu besiegen und im ersten Grand-Slam-Finale der Karriere auf Anhieb den Titel zu gewinnen, das haut den stabilsten Australier um. Der besiegte Sampras erlebte das Ende des Spiels dagegen zwar stehend, aber sichtlich geknickt, und die Szenerie erinnerte frappierend an das vergangene Jahr. Damals schlugen Marat Safins Geschosse rechts und links von ihm ein, diesmal spielte Hewitt mit ihm Hase und Igel, und er hatte in beiden Fällen nicht den Hauch einer Chance.
Die Niederlage traf Sampras vor allem deshalb so hart, weil er sich nach den Siegen zuletzt gegen Pat Rafter, André Agassi und gegen den Titelverteidiger Marat Safin so gut und stark gefühlt hatte wie schon lange nicht mehr. Vor allem der atemberaubende Auftritt gegen Agassi hatte ihn glauben lassen, alles sei möglich, aber dieses Vertrauen wurde schon in den ersten Minuten des Finales zerstört. Hewitt gelang sofort ein Break, und obwohl Sampras umgehend ausglich, war das ein Anfang, der auf das weitere Geschehen Einfluss hatte. Es kam ihm vor, als spiele da jemand die falsche Melodie.
Mit äußerster Konzentration erreichte Sampras den Tiebreak des ersten Satzes, doch nachdem er den verloren hatte, war auch er verloren. Hewitt returnierte unwiderstehlich gut, er machte kaum Fehler, und er erlief fast jeden Ball; das waren Effizienz, Stabilität und Konterspiel auf allerhöchstem Niveau. Mühelos schaltete der Dauerläufer Lleyton von einem Gang in den nächsten, mit quietschenden Reifen kratzte er die Kurve, und Pete Sampras kam immer zu spät.
Der in die Jahre kommende Amerikaner akzeptierte die Niederlage im Stil eines Champions, doch er gab mehr als nur einen Hinweis darauf, wie sehr sie ihn traf. „Ich wünschte, ich hätte den Leuten eine bessere Show bieten können, aber ich hatte keine Chance. Wenn ein bisschen Zeit vergangen ist, werde ich damit zufrieden sein, was ich bei diesem Turnier geleistet habe, aber es wird nur ein Name auf dem Pokal stehen, und das ist nicht meiner.“ Zum ersten Mal seit 1992 hat er damit bei den vier Grand-Slam-Turnieren eines Jahres keinen Titel gewonnen, das ist ein deutlicher Einschnitt in seiner Karriere.
Nach der Niederlage seinerzeit gegen Safin lobte Sampras den Russen und prophezeite, wenn der so weiterspiele, sei er bald die Nummer eins – was ein paar Wochen später tatsächlich geschah. Wenn er beim Urteil über Lleyton Hewitt ebenso richtig liegt, dann hat der am Sonntag in New York nur einen Anfang gemacht. „Er ist ein großer Spieler“, sagt Sampras, „und er wird in den nächsten zehn Jahren zu den Favoriten gehören.“ Das Lob gipfelte in der Behauptung, Hewitt spiele sogar einen besseren Return als André Agassi – was den Sieger zusätzlich verwirrte.
Denn der konnte das alles nicht so recht fassen. Mit verträumtem Blick betrachtete er den vor ihm stehenden Pokal und meinte: „Das ist alles irgendwie irreal. Vor vier Jahren habe ich hier noch bei den Junioren gespielt, und keinen hat es interessiert. Jetzt bin ich 20, habe gerade meinen ersten Grand-Slam-Titel gewonnen, aber auf meiner Akkreditierung ist immer noch das Foto aus der Juniorenzeit.“
Dass er zu den größten Talenten des Tennis gehört, ist bekannt, seit er mit 16 den ersten Titel beim ATP-Turnier in seiner Heimatstadt Adelaide gewann und gleich danach sein Debüt bei den Australian Open gab. Aber es gab auch von Anfang an jede Menge Kritik an seinem überaus aggressiven Verhalten auf dem Platz, an wütenden Gesten und lautem Geschrei. Das war bis zum Beginn dieses Jahres noch so, und selbst die Leute in Australien regten sich oft genug darüber auf. Doch jetzt ist er ruhiger geworden, und das hat einen Grund. „Bei Grand-Slam-Turnieren kann man es sich nicht leisten, die Energie für die falschen Sachen zu verschwenden“, sagt Hewitt, „und daran hab ich gearbeitet.“
Bei den US Open kam nach dem Vorfall und den Rassismus-Vorwürfen im Spiel der zweiten Runde gegen den schwarzen Amerikaner James Blake kein falscher Ton mehr über seine Lippen, und mit geradezu mustergültigem Verhalten gewann er den Titel. Kaum noch „come on“, kein eiskalter Blick mehr oder provozierende Gesten. Sieht so aus, als hätte er die wilde Phase erst mal hinter sich. Was er vor sich hat, wenn Pete Sampras Recht behält, ist nichts weniger als eine glorreiche Zukunft. ¶
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