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Grausamkeit im Namen der Forschung

■ Die Bremer Wissenschaftlerin und Lehrerin Dr. Karin Magnussen forschte mit Hilfe Dr. Josef Mengeles

Bei dem Namen Dr. Josef Mengele läuft fast jedem historisch Grundgebildeten erst einmal ein Schauer über den Rücken: der KZ-Arzt, der Menschenversuche gemacht hat. Mengele ist Synonym für Grausamkeit. Er ist bekannt, aber er ist nicht der Einzige. Die Bremer Lehrerin Dr. Karin Magnussen hat von Mengele profitiert.

Ihr bis zu ihrem Tod 1997 unauffällig gelebtes Leben hat der Historiker Hans Hesse dokumentiert. Über sein Anliegen sagt Hesse: „Ich wollte kein Psychogramm dieser Frau zeichnen, sondern einfach diesen Fall darstellen. Einen Bezug zur Gegenwart habe ich bewusst nicht hergestellt. Den kann sich jeder selbst überlegen.“

Hesses Arbeit „Augen aus Auschwitz“ wurde gestern im Bremer Staatsarchiv vorgestellt. Der Untertitel „Ein Lehrstück über nationalsozialistischen Rassenwahn und medizinische Forschungen“ verdeutlicht die Stoßrichtung des Autors.

Augenforschung mit Mengele

Im Jahr 1941 macht die Lehrerin Magnussen nach fünf Jahren des Unterrichtens einen großen Karrieresprung: Sie geht an das damalige Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem. Dort forscht sie zu ihrem Lieblingsinteresse, den Augen. Im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit steht die Augenfarbe, vor allem die so genannte „Heterochromie“ – so lautet das Fachwort für zwei unterschiedlich gefärbte Augen. Magnussen stuft diese Auffälligkeit als „störende Anomalie“ ein. Diese will sie „heilen“. Tatsächlich sind Menschen mit zwei Augenfarben in keinster Weise beeinträchtigt.

Der Historiker Hesse hat in seiner Publikation herausgearbeitet, dass Magnussen zwar selbst nicht in Ausschwitz geforscht hat, aber über einen guten Kontakt zu dem KZ-Arzt Josef Mengele verfügte. Dieser habe, laut Hesse, in Magnussens Auftrag Versuche an Sinti-Kindern vergenommen, die ihm wegen ihrer Heterochromie auffielen.

Zwillingskinder aus der Oldenburger Sinti-Familie Mechau sind darunter. Bei den Menschenversuchen wird versucht, die Augenfarbe der Kinder dadurch zu verändern, dass Mengele ihnen eine „körpereigene Substanz“ in die Augen tropft, vermutlich Adrenalin. Die Folgen sind, nach Aussage von Augenzeugen, dass die Kinder vorübergehend ihre Sehkraft verlieren, die Augen anschwellen oder eitern. In einem besonders schlimmen Fall fließen die Augen eines Neugeborenen aus. Dennoch ist Magnussen davon überzeugt, dass diese Behandlung erfolgreich ist.

Die Zusammenarbeit zwischen Mengele und Magnussen geht aber noch darüber hinaus. Als Mengele Kinder mit heterochromen Augen in Ausschwitz auffallen, lässt er deren Augen nach ihrem Tod herauspräparieren und in Paketen zu Forschungszwecken nach Berlin-Dahlem schicken. Empfängerin: Dr. Karin Magnussen. Einige der Kinder sind gezielt mit Chloroform-Injektionen direkt ins Herz getötet worden. Als offizielle Todesursache wird Lungen-Tuberkulose genannt. Hesse zitiert den Sektionsbericht eines von Mengele rekrutierten KZ-Insassen, der selbst Pathologe war. Magnussens Forschungsprojekt 1944 wird von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) mitgetragen.

Einfach nur Wissenschaft?

Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, deren heutige Nachfolgerin die Max-Planck-Gesellschaft ist, wurde 1911 gegründet und genoss weltweit hohes Ansehen.

Mit welcher Begründung Dr. Karin Magnussen an dieses renommierte Institut gerufen wurde, kann Historiker Hesse in seiner Forschungsarbeit nicht endgültig klären. Die damals 33-Jährige hat sich zuvor nicht mit Forschungsleistung-en auf den Gebieten des Instituts hervorgetan. Hesse vermutet, dass Magnussens frühes Engagement für die NSDAP und ihre Rassenlehre ein Grund war.

Bereits 1931 tritt Magnussen in die NSDAP ein. Ab 1935 ist sie Mitarbeiterin des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. Sie arbeit von 1936 bis 1941 als Lehrerin in Hannover. Ebenfalls 1936 publiziert sie ein Buch mit dem Titel „Rassen- und bevölkerungspolitisches Rüstzeug“, das in den Folgejahren noch zwei weitere Auflagen erfährt und sich an Biologielehrer und andere Multiplikatoren wendet.

Magnussen ist von den Ergebnissen ihrer Augenfarbenforschung so überzeugt, dass sie noch 1995 in einem Telefonat mit dem Historiker Hesse betont, „auch heute in jedem ebenso liegenden Falle zu dieser Behandlung“ zu raten.

Dr. Karin Magnussen wird zweimal entnazifiziert: 1946 bescheinigt ihr der Entnazifizierungsausschuss in Hannover eine „Minderbelastung“ – laut Historiker Hesse der Freispruch vom Täter-Vorwurf.

Mit ihrem Anliegen, unterschiedliche Augenfarben zu heilen, begründet Magnussen auch noch 1947, in einem zweiten Entnazifizierungsverfahren in Bremen, die „Behandlung“ von Sinti-Kindern im KZ Auschwitz

In der Hansestadt wird sie als „Mitläuferin“ eingestuft. Der Weg zurück in den öffentlichen Dienst bleibt ihr damit offen. Von 1950 bis 1970 unterrichtet sie erneut – als Biologielehrerin an einem Bremer Gymnasium.

Ulrike Bendrat

Hans Hesse: Augen aus Auschwitz, Klartext Verlag, 25,20 DM.

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