: EU-Verkehr auf Zickzackkurs
„Weißbuch Verkehrspolitik“ der Kommission: Einerseits soll Stadtplanung Pendeln überflüssig machen. Andererseits ist von „maritimen Autobahnen“ und „Reserven im Luftraum“ die Rede
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Wenn sich Loyola de Palacio, die Kommissarin für Transport und Energiefragen, heute Morgen an ihren Arbeitsplatz im Stadtzentrum chauffieren lässt, hat sie im Stau viel Zeit zum Nachdenken. Zum Beispiel darüber, warum Brüssel eines der besten Nahverkehrssystem der Welt besitzt und dennoch jeden Morgen 300.000 Pendler per Auto in die Stadt drängen.
De Palacio wird ihren Kommissionskollegen heute das „Weißbuch Verkehr“ vorlegen, das ihre Abteilung erarbeitet hat und das Leitlinien für die europäische Verkehrspolitik der kommenden dreißig Jahre vorgeben soll. Es umfasst auf 150 Seiten eine Bestandsaufnahme der aktuellen Verkehrsprobleme und einen Sechzig-Punkte-Plan mit Lösungsvorschlägen. Die Bestandsaufnahme fällt kritisch aus: 79 Prozent des Personenverkehrs wälzen sich derzeit über die Straße, nur 6 Prozent reisen per Bahn – dicht gefolgt vom Flugsektor, der bereits 5 Prozent des Personentransports übernimmt und „sich anschickt, die Eisenbahn zu überholen“, wie das Weißbuch feststellt.
Staus, Lärmbelästigung und Umweltverschmutzung, dazu die hohe Zahl an Verkehrstoten, die diese Situation jährlich fordere, machten einen Politikwechsel unumgänglich. Die Zukunft könnte, folgt man den Visionen der EU-Kommission, rosig aussehen. So werde die bereits auf den Weg gebrachte Gesetzgebung dazu führen, dass sich die durch Autos verursachte Luftbelastung drastisch vermindere. „Die Vereinbarung mit dem Dachverband der Europäischen Automobilhersteller erlaubt es, bei den Neuwagen ab 2008 eine Reduktion der kohlenstoffhaltigen Gase um 25 Prozent zu erwarten.“
„Nachhaltigkeit“, wie beim EU-Gipfel von Göteborg im Juni vereinbart, soll auch in der europäischen Verkehrspolitik künftig oberste Maxime sein. Der Europaabgeordnete und CDU-Verkehrsexperte Georg Jarzembowski fürchtet gar, dass dieses Bekenntnis den wirtschaftlichen Schwung in Europa bremsen könnte. Der Rat in Göteborg habe beschlossen, das Transportvolumen in Europa zu begrenzen – ohne Rücksicht auf mögliche wirtschaftliche Erfordernisse. „De Palacio hätte für einen Gegenkurs keine Mehrheit in der Kommission gefunden. Das Weißbuch versucht aber doch gegenzusteuern und diesen Politikwechsel wieder aufzuheben.“
Tatsächlich fährt das Weißbuch einen Zickzackkurs zwischen zwei Politikzielen, die nicht unter einen Hut zu bringen sind: ungebremstes Wirtschaftswachstum und nachhaltige Verkehrspolitik. Letztere soll zum Beispiel dadurch gefördert werden, dass Städte geplant werden, die das Pendeln per Auto zwischen Wohnung und Arbeitsplatz überflüssig machen. Auch die Schiene soll wieder konkurrenzfähig werden, indem – EU-weit nach den gleichen Regeln – die tatsächlichen Kosten umgelegt werden, die der Straßenverkehr verursacht. Das soll bewirken, dass unter einheitlichen Startbedingungen in allen Ländern der Anreiz steigt, wieder mehr per Schiene zu transportieren. Vereinheitlichen will die EU auch die Höhe der Mineralölsteuer im gewerblichen Bereich.
Andererseits will die Kommission die Reserven im Luftraum nutzbar machen und die Meere zu „maritimen Autobahnen“ ausbauen. Das klingt wenig nachhaltig – selbst wenn ab dem Jahr 2004 eine einheitliche Kerosinsteuer für die EU gefordert wird. Die Prioritätenliste für die transeuropäischen Netze soll geändert werden und eine Eisenbahnlinie für Frachttransporte über die Pyrenäen, einen Hochgeschwindigkeitszug zwischen Paris und Wien und eine Brücke über den Fehmarnbelt zwischen Deutschland und Dänemark an die oberste Stelle setzen.
Der Europaabgeordnete Theodorus Bouwman, grüner Verkehrsexperte aus den Niederlanden, kritisiert, dass kaum Vorschläge gemacht werden, wie der Verkehr vermindert werden könnte. Zwar würden die Probleme benannt, die er verursache, die Lösungsansätze aber seien nicht ausreichend. Die vorgeschlagene Kilometerpauschale zum Beispiel sei nicht der richtige Weg, um alle Kosten einzubeziehen, die beim Autofahren entstünden.
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