: „Mein Notebook ist mein Zuhause“
Wie will René Pollesch (39) leben? Der Dramatiker und Regisseur hält künstlerische Berufe für paradigmatisch für die neuen flexiblen Arbeitsverhältnisse. Abschalten fällt ihm schwer: „Plötzlich wird alles leiser, und das soll jetzt die Freizeit sein, die Befreiung vom Job. Aber es ist nur eine tödliche Stille.“
Interview KIRSTEN KÜPPERS
taz: Herr Pollesch, in Ihren Stücken geht es um die bedauernswerten Telearbeiter der Kommunikationsgesellschaft. Leiden Sie auch?
René Pollesch: Das ist eher ein Unbehagen. In den Stücken und in meinem Alltag: Wie ich versuche, mit Arbeit zu überleben und mit welcher, oder in welche Arbeitsverhältnisse ich mich hineinbegebe. Inzwischen wird ja von jedem erwartet, die Autonomie und Selbstausbeutung von Künstlern zu leben. Tatsächlich selbstverwirklicht sich da aber nur die Firma. In der Kommunikationsgesellschaft wird Erfahrung und Persönlichkeit verkauft, nicht das, was man mit Händen herstellt.
Ihre Figur Heidi Hoh hält einmal ein Schild hoch, auf dem steht „Scheiß Neoliberalismus“.
Ja genau. Aber auf der Bühne ist Engagement nicht schwer. Außerhalb des Theaters gibt es viel mehr Leute, die sich engagieren. Im Theater kommt Politik kaum vor, allenfalls als naturalistisches Abbilden von Sozialfällen. Aber vielleicht kann man ja wieder einen Diskurs dahin zurückbringen.
Wie wollen Sie leben?
Ich weiß es nicht. Meine Mutter wollte zum Beispiel, dass ich in einer Bank arbeite. Erst in der letzten Zeit sind meine Eltern nicht mehr verzweifelt über das, was ich tue. Die Frage impliziert, dass man aus einem vielfältigen Angebot wählen kann. Aber ob ich die Angebote nutzen kann, ist abhängig von meiner finanziellen Situation.
Für viele Menschen ist Arbeit eine Art Kompensation.
Mir wurde irgendwann klar, das Theater ist nur Sublimation, eine Kompensation von einem Leben, und die ungeregelte Arbeit da ist Kompensation von einem Leben, das man nicht lebt. Seither fordere ich mich durch die Stücke auf, mein Leben anders zu regeln.
Gibt es einen Ausweg?
Wenn man früher über Arbeitsverhältnisse nachgedacht hat, ging es um Entfremdung: dass man seine Arbeitskraft verkauft und als Ausgleich den Alltag bekommt. Heutzutage wird einem die Arbeit als Selbstverwirklichung verkauft, und Flexibilität als Autonomie. Aber das ist nur eine kontrollierte Autonomie. Man kontrolliert sich ständig hinsichtlich von Markt und Betrieb.
Gibt es denn überhaupt noch so etwas wie ein richtiges Leben?
Lebensentwürfe richten sich ja nach bestimmten Glücksversprechen. Aber diese Modelle decken sich nicht mehr mit den realen Lebensverhältnissen. Da gibt es einen Konflikt. Wir leben und arbeiten völlig anders und haben noch die gleichen Lebensentwürfe im Kopf. Ein Zuhause gibt es nicht mehr, und wir haben auch andere soziale Beziehungen als unsere Eltern. Das muss nicht gleich schlecht sein.
Früher haben die Leute ihr Glück in Landkommunen gesucht.
Ich bin wie viele andere auf einen Lebensentwurf reingefallen, nämlich dass Arbeit wichtiger ist als Leben. Glücksversprechen sind heute meist an eine Karriere gekoppelt. Darum glaube ich nicht, dass ich in einer Landkommune mein Glück finden würde. Mein Ziel war immer, autonom zu leben. Die Autonomie ist natürlich nur eine scheinbare.
Stöpsele dich nicht zu tief ein, in was du ablehnst, haben Sie gesagt.
Für mich persönlich heißt das zum Beispiel, zu beobachten, dass künstlerische Berufe paradigmatisch sind für die neuen flexiblen Arbeitsverhältnisse. Es sind oft Künstler, die anfangen, Bezirke kulturell aufzuwerten. Und dann kommt all das nach, was sich durch die Aufwertung etwas verspricht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zum Standortfaktor werden. Trotzdem fühlen sich einige aufgefordert, damit zu argumentieren.
Manche Unternehmen signalisieren Kreativität, indem sie Tischtennisplatten aufstellen.
Der neue Markt wollte sich mit diesen Tischtennisplatten vom alten Markt abheben. Das war ja das Bild von den aufstrebenden hippen Start-up-Unternehmen. Aber das ist ja auch am Markt orientiert. Viele haben dieses Image inzwischen fallen gelassen und quetschen sich wieder in Anzüge. Es sind immer nur Bilder, die man für sich inszeniert.
Auf Sie passt das Bild des modernen Kommunikationsarbeiters. Sie betreiben Homebanking, besitzen mehrere E-Mail-Adressen und zwei Handys. Haben Sie überhaupt noch einen Festnetzanschluss?
Ich habe eine Buchse, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, mir ein Telefon dafür zu kaufen. Diese ganzen Kriterien von jemandem, der an den neuen Arbeitsplätzen arbeitet, erfülle ich total. In den letzten Monaten habe ich in Berlin mindestens in 30 verschiedenen Wohnungen einer Wohnungsvermittlungsagentur gelebt. Irgendwann nimmt man die einzelnen Orte gar nicht mehr wahr, genausowenig wie die Möbel der eigentlichen Mieter. Manchmal steht ein ausgestopftes Gürteltier herum.
Was vermittelt „zu Hause“?
Ich weiß es nicht mehr. Möbelstücke sind es jedenfalls nicht. Realistisch ist eine Software-Architektur, die man mit sich herumschleppt. Eigentlich ist mein Notebook mein Zuhause.
Es gibt auch Boarding-House-Hotels für den flexiblen Arbeitsmenschen. Die Zimmer sind mit Bett, Schreibtisch und Internetanschluss ausgestattet.
Aber was servieren die als Daheim? Zuhause wird dort nur als Dienstleistung angeboten.
Schlafen sie noch ruhig?
Ein Stück von mir hieß „Betten sind Orte erhöhter Wachsamkeit“. Das sind die Erfahrungen meines Grübelzwangs. Ich bin im Bett immer am wachsten.
Viele Menschen bekämpfen ihre Schlafstörungen mit Tabletten, Fernsehserien, Ausgehlokalen.
Ja, man erträgt das Abschalten nicht. Plötzlich wird alles leiser, und das soll jetzt die Freizeit sein, die Befreiung vom Job. Aber es ist nur eine tödliche Stille. Ich ballere mich natürlich auch total zu: Musik, Fernsehen. Andererseits finde ich dieses Fehlen von Sendeschluss furchtbar. Alles ist auf den 24-Stunden-Tag ausgerichtet.
Sie sind also gegen die Abschaffung des Ladenschlusses?
Dieser 24-Stunden-Tag wird als Qualität ausgegeben. Dabei ist das nur ein auf den globalen Markt zugeschnittenes Bedürfnis.
Haben Sie mal in einem Supermarkt gearbeitet?
Als Schüler habe ich das auch gemacht. Aber wir haben auch das Theater als Arbeitsplatz und Ausbeutungsverhältnis immer thematisiert.
Es geht Ihnen um Wahrhaftigkeit.
Theater, das nichts zu sagen hat, ist grässlich.
Was ist ihr politisches Ziel? Die Massen revolutionieren?
Ich habe eher Vertrauen in andere Leute, die politisch aktiv sind. Ich glaube nicht, dass Theater eine ähnlich mobilisierende Kraft hat wie einen Film über IT-Arbeitsplätze in Bulgarien zu drehen. Das Theater hindert einen eher am Leben.
Das klingt, als würden Sie dauernd andere Sachen verpassen.
Das tue ich garantiert.
Tolle Partys, Urlaube und Globalisierungsproteste?
Genau, mir ein paar Plastikteile anzuheften und damit auf italienische Polizisten loszugehen und dann mit blutender Nase im Straßengraben zu liegen. Nein, so ein männliches Street-Fighter-Gehabe bringt mir nichts. Mich nach Bildern von männlicher Gewalt zu richten, gehört einfach nicht in mein Lebenskonzept.
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