: Immer das Gleiche
■ Nach Anschlägen bricht allenthalben fragwürdiger politischer Aktionismus aus
Als Christian Busold gestern im Radio hörte, dass Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) infolge des Terroranschlages in den USA Fingerabdrücke zur Identifizierung in Personalausweise drucken will, hatte er ein „Deja vú-Erlebnis“: „Das Muster ist durchgängig das Gleiche“, sagt der Hamburger Rechtsanwalt und sicherheitspolitische Berater der grünen Bundestagsfraktion: „Nach Anschlägen bricht immer Aktionismus aus. Bei der jeweiligen Opposition, die der Regierung Versagen vorwirft, und bei der Regierung, die Handlungsfähigkeit beweisen will.“ Nach Anschlägen würden stets „Sicher-heitsversprechen abgegeben, die ohnehin nicht zu halten sind“.
Der Hamburger Sicherheitsexperte fürchtet, dass nun polizeiliche und justizielle Maßnahmen ergriffen werden, die ohne den Anschlag nicht duchsetzbar gewesen wären. Der gestern veröffentlichte Vorschlag Schilys sei nur ein Beispiel. In einer Fernsehsendung hatte der Hamburger CDU-Abgeordnete Volker Rühe, der nächste Woche zusammen mit Parteichefin Angela Merkel auf Wahlkampftour nach Hamburg kommen wird, bereits angekündigt, seine vorbereitete Rede zu ändern und das „Versagen der Hambuger Sicherheitsbehörden“ zu geißeln.
Die CDU-Bundestagsfraktion hat am Donnerstag einen Gesetzentwurf „zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Kriminalität und des Terrorismus“ verteilt. Der enthalte ein „buntes Potpourri“ an Maßnahmen, wie die Erweiterung von Telefonüberwachung, die Erstellung von Bewegungsbildern sowie bessere Einsatzmöglichkeiten für verdeckte Ermittler.
Diesen Entwurf hatte Bayern im Frühjahr bereits in den Bundesrat eingebracht – erfolglos. Nun wittere die Unionsfraktion wohl die Gunst der Stunde. Gestiegen sein dürften auch die Chancen für Schilys Vorschlag von Anfang September, radikal-islamistische Organisationen in Deutschland zu verbieten.
In der Geschichte der Bundesrepublik sei es stets nach diesem Schema abgelaufen, erinnert Busold: Nach den Anschlägen der RAF in den siebziger Jahren wurde beispielsweise die Rasterfahndung eingeführt. Und nach den Schüssen an der Frankfurter Startbahn führte die Bundesregierung 1988 das „Vermummungsverbot“ bei politischen Demonstrationen ein.
Eine innenpolitische Konsequenz haben die Terroranschläge schon nach sich gezogen: Das Zuwanderungsgesetz wird nicht, wie geplant, am 26. September im Bundestag beraten. Der Sprecher der Hamburger Ausländerbeauftragten, Friedhelm Krösche, bedauert, dass die vor dem Anschlag gegebene „Chance auf Versachlichung des Themas“ wieder verspielt sei. Zum jetzigen Zeitpunkt findet aber auch er sinnvoll, nicht über das Zuwanderungsgesetz zu diskutieren: „Die Debatte wäre jetzt zu emotional.“
Elke Spanner
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