: Was ist denn „zivilisiert“?
■ Am Sonntag wurde im Schauspielhaus über die Terroranschläge in den USA diskutiert / Auch hier die Frage: Was ist da überhaupt genau passiert? Und was kann man tun? Ein Stimmungsbild
„In Amerika fragt man sich vielleicht mehr, wie diese Anschläge passieren konnten. Wir hier in Europa wollen uns fragen: Warum passieren sie?“ So leitete Andreas Hoetzel von Radio Bremen am Sonntag eine Diskussion im Schauspielhaus ein. „Oder wird es immer einen Bodensatz an Durchgeknallten geben, ganz egal wie gut und gerecht die Welt ist?“, fragte er Bremer Vertreter aus Politik, Kultur und Wissenschaft.
Wolfgang Eichwede, Leiter der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, wies darauf hin, dass noch unklar sei, wer hinter den Anschlägen stehe. Klar sei aber auch, das es sich hierbei um eine neue Form von Terrorismus handele: „Terroristen wollten oft eine bessere Welt. Diese Terroristen jedoch wollen etwas anderes: Die Reinigung durch Vernichtung.“ Michael Zürn, Politologe an der Universität Bremen, machte den Versuch, das Attentat als Krieg oder Terrorakt einzuordnen: „Krieg findet zwischen Staaten statt, Terrorismus in einem Land. Die Tat vom letzten Dienstag ist eine transnationale Auseinandersetzung und insofern mehr als Terrorismus.“ Sein Vorschlag: Es ist ein „Neuer Krieg.“
Allerdings sei der Kriegsgrund unklar, so Zürn, es lägen wohl eher politische Motive dahinter als religiöse oder ökonomische. Die Folgen der Ereignisse in den USA seien schwer: „Es wird nicht mehr unterschieden zwischen Kämpfern und Zivilisten, und es ist klar, dass dies kein einmaliges Ereignis sein wird. Dass heißt, man wird zu einer Seite gehören müssen!“
Der Chefdramaturg des Bremer Theaters, Joachim Klement, befürchtete, daß der Präsident der USA, George Bush, als „christlicher Fundamentalist“ nicht besonders geeignet sei, diesen Konflikt zu lösen; und Aureliusz Smigiel, Regisseur von „Gestochen scharfe Polaroids“, kritisierte, dass jetzt die Politiker und die Medien wieder zwischen zivilisiert und unzivilisiert unterschieden: „Was ist“ und er deutete mit den Fingern Anführungszeichen an „zivilisiert?“
Mehmet Kilic, der Sprecher und stellvertretende Direktor des Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland, beschrieb, was er so schrecklich an den Geschehnissen in den USA finde: „Es sind nicht die Opferzahlen, nicht der wirtschaftliche Schaden – nein, das schreckliche daran ist, daß wir alle nicht geschützt sind, wir sind hilflos!“ Der Koran enthalte keine Stelle, die so etwas rechtfertige. Attentäter hätten andere Gründe und würden den Koran zur Rechtfertigung mißbrauchen. Eichwede fügte hinzu: „Ich habe so etwas auch nicht für möglich gehalten.“
Sollten die Urheber einen islamistischen Hintergrund haben, halte er die Anschläge nicht für die Folge eines Konfliktes zwischen Arm und Reich, denn „die islamische Welt ist nicht arm. Es liegt dann mehr an der Demütigung jener Welt in den letzten Jahrzehnten.“
Dann wollte Hoetzel wissen, was denn die angemessene Reaktion auf die Anschläge sein könnte. Im Raum stand dabei die allgemein erwartete Invasion in Afghanistan. Dazu Zürn: „Man weiß nicht, wie man reagieren soll. Die Nichtreaktion ist auch keine angemessene Reaktion.“ Bezogen auf einige sehr kritische Äußerungen aus dem Publikum an den USA sagte er: „Dies ist angesichts des Attentats nicht die richtige Zeit für Antiamerikanismus, es ist durch kein Fehlverhalten der USA zu rechtfertigen.“ Kilinc fügte hinzu: „Es ist legitim, daß die Amerikaner die Rädelsführer weltweit bekämpfen wollen. Aber das bringt nur kurzfristig Erleichterung. Langfristig muss man mit der UNO dafür sorgen , dass die Menschenrechte überall auf der Welt wirklich umgesetzt werden.
Klement sagte, er glaube an einen Zusammenhang zwischen den Fehlentwicklungen der Globalisierung und dem Terrorismus, die Lösung müsse diese Verknüpfung einbeziehen. Eichwede widersprach: Der Terrorismus sei keine Folge der Armut und des Elends der Welt, „er ist selbst ein Elend der Welt!“ Er fuhr fort: „Es gibt Staaten, die solche Anschläge decken,“ gegen diese könne man vorgehen, es dürfe allerdings nicht zu einer „Konfrontation der Kulturen“ kommen. Er begrüßte deswegen auch die Beistandserklärung der NATO-Staaten, denn nur so könne Europa einen mäßigenden Einfluß auf die USA ausüben. Bezogen auf Zürn sagte er: „Ich kann auch nicht verstehen, wie der Anschlag auf das World Trade Center flugs gegen Amerika gewendet werden kann.“ Er habe auch schon den Spruch gelesen: „Nur ein toter Amerikaner ist ein guter Amerikaner“, wer das sage, mit dem wolle er nichts zu tun haben.
Viele aus dem Publikum beteiligten sich an der Diskussion, oft wurde es turbulent, manch einer wurde von Geschrei unterbrochen. Hoetzel schaffte es jedoch, alle zu beruhigen und zu Wort kommen zu lassen: „Es gibt verschiedene Meinungen hier im Saal, und wir sollten die Gelassenheit haben, jeden anzuhören.“ Beifall.
Tom Brägelmann
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