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„Die UNO muss eingeschaltet werden“

Der frühere russische Vize-Generalstabsschef, Machmut Garejew, fürchtet, dass Vergeltungsschläge gegen Afghanistan den Terroristen in die Hände spielen. Langfristig werde das Leid Russland und den Westen einander näher bringen

taz: Die USA planen einen Gegenschlag. Hat eine Vergeltungsaktion gegen Afghanistan Aussicht auf Erfolg?

Machmut Garejew: Auf martialische Maßnahmen sollte man verzichten, solange nicht alle Informationen ausgewertet sind. Ein Rachefeldzug wird den internationalen Terrorismus eher anheizen und die Weltordnung ins Wanken bringen. Es ist doch klar, womit ein Vergeltungsschlag gegen Afghanistan endet, mit einer Spirale der Gewalt. Der internationale Terrorismus lässt sich militärisch nicht in die Knie zwingen.

Wie wird sich Russland verhalten? Es scheint, als hätte die politische Elite bei dem Gedanken, mit dem Westen an einem Strang ziehen zu müssen, Schwindel befallen?

Russland unterstützt das amerikanische Volk moralisch. Auch wir wollen den Terrorismus ausrotten. Deshalb sollte die internationale Gemeinschaft jetzt aufhören, in Sachen Terrorismus mit zweierlei Maß zu messen und von uns nicht mehr verlangen, mit dem ehemaligen tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow Gespräche zu führen. Bei aller Trauer und Wut darf man nicht vergessen: Menschen werden erst zu Terroristen gemacht. Sie sind Geschöpfe der Politik, einer Politik, die Grundstandards der Menschlichkeit missachtet. Folglich muss sich die Politik ändern. Mich wundert nicht, dass der Terrorismus im letzten Jahrzehnt immer mehr Zulauf hatte. Milliarden Menschen vegetieren im Schatten einer in Saus und Braus lebenden Minderheit. Für diese rücksichtslose Politik stehen auch die USA. Das Verhalten der USA verstärkt den Eindruck, als wollten sie auf Kosten anderer leben. Das schürt antiamerikanische Ressentiments. Ganz zu schweigen vom aggressiven Vorgehen der USA in Jugoslawien. Wer schwächeren Völkern seinen Willen diktiert, läuft Gefahr, dem Terrorismus Vorschub zu leisten. Man muss an die Wurzeln des Problems.

Allen offiziellen Dementis zum Trotz halten sich Gerüchte, Russland könnte den USA in Zentralasien Militärbasen für Operationen in Afghanistan zur Verfügung stellen. Das wäre ein überraschender Wandel in den Beziehungen.

Die Vorschläge sind nicht neu. Aber nicht die USA und Russland haben im Alleingang darüber zu entscheiden. Ich halte es für unerlässlich, den UN-Sicherheitsrat einzuschalten. Alles andere öffnet der Willkür Tür und Tor. Am Ende fällt jeder über jeden her.

Sie waren jahrelang in Afghanistan. Ist mit einer Bodenoperation der Krieg zu gewinnen ? Die Erfahrungen der Sowjetarmee und vorher der Engländer sind nicht gerade ermutigend.

Ich glaube nicht, dass eine groß angelegte Bodenoffensive geplant ist. Wenn Vergeltungsschläge kommen, dann nur aus der Luft. Mit Bodeneinheiten in den Bergen zu operieren, birgt eine riesige Gefahr, da sich Truppen aus der Luft nicht effektiv unterstützen lassen. Luftangriffe pflügen nur den Boden um.

Welches Vorgehen empfehlen Sie?

Die UNO sollte hineingehen. Unsere Geschichte hat gezeigt: Über vierzig Jahre kämpfte Russland im 19. Jahrhundert unter dem Außenminister Nesselrode im Kaukasus ohne Erfolg. Nachfolger Tretjakow beendete den Krieg innerhalb von anderthalb Jahren. Dafür verhandelte er mit Engländern, Franzosen und Türken, die Waffen geliefert hatten. Die Quelle wurde trockengelegt. Ähnliches wiederholte sich 1941 mit den Baschmaten in Zentralasien, die bis dahin mit Hilfe der Engländer die Sowjetunion bekämpft hatten. Durch die Anti-Hitler-Allianz hörte der Widerstand auf, weil Westminster die Baschmaten nicht mehr unterstützte. [Nach sowjetischer Lesart waren die Baschmaten vom britischen Imperialismus unterstützte Konterrevolutionäre aus kriminellem Milieu. Westliche Wissenschaftler heben den nationalen, religiösen und freiheitskämpferischen Charakter der Bewegung hervor; d. Red.]

Das mag richtig sein. Es scheint aber, dass Russland diese Erkenntnis erst letzte Woche aktiviert hat. Afghanistankrieg und zwei Tschetschenienkriege sprechen eine andere Sprache. Sind die USA lernfähiger?

Warten wir’s ab.

Russische Beobachter befürchten, eine erfolgreiche US-Intervention in Afghanistan könnte den amerikanischen Einfluss in Zentralasien stärken.

Das möchte ich den USA nicht unterstellen. Im Moment steht die Vernichtung der Terrorquellen im Mittelpunkt. Ich glaube, langfristig führt das Leid zu einer Annäherung zwischen Nato, dem Westen und Russland.

INTERVIEW: KLAUS-HELGE DONATH

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