Religion schützt nicht vor Verbot

Nach Anschlägen in USA will Innenminister Otto Schily Religionsprivileg im Vereinsgesetz streichen. Bei Verbot kann Vermögen der Organisation eingezogen werden

Bei einem Vereinsverbot ist immer auch die Religionsfreiheit zu berücksichtigen

FREIBURG taz ■ Das Bundeskabinett wird morgen einen lange vorbereiteten Gesetzentwurf von Innenminister Otto Schily (SPD) beschließen, wonach auch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verboten werden können. Bisher war dies durch ein so genanntes Religionsprivileg im Vereinsgesetz ausgeschlossen.

Konkret heißt es in Paragraf 2 des Vereinsgesetzes, dass Parteien, Parlamentsfraktionen sowie „Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe gemacht haben“, nicht als Vereine im Sinne dieses Gesetzes gelten. Sie können deshalb bisher nicht wie andere Vereine von den Innenministerien des Bundes oder der Länder verboten werden. Für verfassungsfeindliche Parteien gibt es ein spezielles Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht. Bei Religionsgemeinschaften fehlt auch dies.

Nach einem Vereinsverbot würde das Vermögen der Organisation eingezogen, die Kennzeichen dürften nicht mehr benutzt werden und die Gründung von „Ersatzorganisationen“ wäre untersagt. Bisher war nur die strafrechtliche Verfolgung von Einzelpersonen und Personengruppen möglich.

So wurde etwa der Leiter des Kölner „Kalifatsstaats“, Metin Kaplan, im November vergangenen Jahres zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er mehrfach zur Tötung eines abtrünnigen „Gegenkalifen“ aufgerufen hatte. Der Kalifatsstaat selbst konnte als religiöser Verein bisher nicht verboten werden. Denkbar wäre allenfalls die Einstufung des gesamten Vereins als „kriminelle Vereinigung“. Im Falle Kaplans ging die Anklage allerdings nur davon aus, dass sich „innerhalb“ des Verbandes eine kriminelle Vereinigung gebildet habe.

Fällt das Religionsprivileg, dann würden für Organisationen wie den Kalifatsstaat die gleichen Kriterien gelten wie für andere Vereine. Laut Vereinsgesetz ist ein Verbot möglich, wenn Zweck oder Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen zentrale Verfassungsbestimmungen oder die Völkerverständigung richten. Vereine, deren Mitglieder oder Leiter überwiegend Ausländer sind, können noch leichter verboten werden. Es genügt, dass sie „durch politische Betätigung“ die innere oder äußere Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder sonstige erhebliche Belange des Bundes oder der Länder „verletzen oder gefährden“.

Allerdings ist im Falle von religiösen Vereinen immer auch die im Grundgesetz gewährleistete Religionsfreiheit zu berücksichtigen. Für Volker Beck, den rechtspolitischen Sprecher der Grünen, heißt das: „Ein Verbot religiöser Vereine ist faktisch nur möglich, wenn von diesen systematisch schwere Straftaten begangen oder gedeckt werden.“ Im Zweifel müssen Gerichte Verbotsgründe und Religionsfreiheit abwägen.

Bündnis 90/Die Grünen hatten dem Gesetzentwurf von Schily bereits vor den Anschlägen in den USA zugestimmt. Auch evangelische und katholische Kirche hatten im Frühjahr grünes Licht signalisiert. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau haben selbst islamische Dachverbände wie der Islamrat oder der Zentralrat der Muslime keine Bedenken.

Abgelehnt wird das Vorhaben dagegen von der Scientology-Church. Diese sieht hier einen „Abbau von Grundrechten“. Gefährdet fühlt sie sich durch Schilys Gesetzentwurf allerdings nicht. Dabei hatte die Sekten-Enquetekommission des Bundestages, die das Projekt mit angeschoben hatte, durchaus Gruppen wie Scientology im Visier.

CHRISTIAN RATH