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Der endlose Krieg der Hutu-Milizen

Im Osten des Kongo nimmt die Zahl der Kriegsvertriebenen stetig zu – Opfer der ruandischen Hutu-Miliz „Interahamwe“, deren Kämpfer sich nach einer gescheiterten Offensive in Ruanda wieder nach Kongo zurückziehen. Die UNO kriegt nichts mit

aus KanyabayongaDOMINIC JOHNSON

„Die Interahamwe-Milizen haben alles geplündert“, berichten Alois Zongo und Jeunesse Kakimwe. „Sie kamen ins Dorf, über fünfzig von ihnen, durchsuchten die Leute, gingen in die Häuser und nahmen alles mit. Dann zogen sie wieder ab. Unsere Häuser waren leer. Also gingen wir.“

Alois und Jeunesse sind zwei von Zehntausenden, die in den letzten Wochen im Osten der Demokratischen Republik Kongo ihre Heimat verloren haben – Opfer der ruandischen Hutu-Milizen „Interahamwe“. Die beiden ärmlich gekleideten Vertriebenen drängen sich inmitten von Hunderten in dem kleinen Bergdorf Kayna vor einer Verteilungsstation der Deutschen Welthungerhilfe und warten auf ihre Ration. Als sie ihre Geschichte erzählen, kommt das ganze Dorf dazu und bestätigt die Vorfälle mit Zwischenrufen. „Da unten ist niemand mehr“, erklärt Jeunesse. „Wenn es Sicherheit gäbe, würden wir zurückkehren.“ Rechnet sie bald damit? „Nein!“, antwortet sie und lacht über die dumme Frage.

Ihr Dorf Busekera liegt im ostkongolesischen Distrikt Walikale, einem kaum erschlossenen Gebiet mit viel Wald und vielen Bodenschätzen. Hier toben seit zwei Monaten heftige Kämpfe zwischen den ruandischen Hutu-Milizen auf der einen Seite und den kongolesischen Rebellen der RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) zusammen mit Ruandas Armee auf der anderen. Im Juni waren die Hutu-Milizen aus diesem Teil des Kongo nach Ruanda aufgebrochen, um dort die Tutsi-dominierte Regierung zu stürzen. Sie erlitten schwere Niederlagen, verloren Tausende Kämpfer und zogen sich nach Kongo zurück. „Sie ziehen nachts durch den Busch und schlagen sich Richtung Walikale durch“, erzählt ein Flüchtling in Kayna. Ruandas Armee und die RCD jagen ihnen hinterher. Fast täglich fahren aus der RCD-Hauptstadt Goma Armeelastwagen voller Soldaten nach Westen.

Die Bewohner des Kampfgebietes fliehen – vor allem in das Gebiet um die Stadt Kanyabayonga in dem Teil Nord-Kivus, der nicht von der RCD regiert wird, sondern von der rivalisierenden Rebellenbewegung RCD-ML (Kongolesische Sammlung für Demokratie/Befreiungsbewegung). „Hier ist es besser“, sagt Mukundo Syavukivwa vom Flüchtlingskomitee in Kayna. „Da unten belästigen die ruandischen Soldaten die Bevölkerung, und die Interahamwe kommen und suchen den Kampf.“

Das Ergebnis: Diese Region an den Ausläufern eines Hochlands, dessen südlichste Abhänge die Grenze zwischen den Gebieten von RCD und RCD-ML bilden, wird von Flüchtlingen überrannt. Kayna ist Teil einer Agglomeration von Bergdörfern um Kanyabayonga; die Zahl der Vertriebenen dort ist seit Ende 2000 nach Angaben der Deutschen Welthungerhilfe von etwa 200.000 auf etwa 375.000 gestiegen und nimmt weiter zu.

Wäre die Grenze zwischen RCD und RCD-ML international anerkannt, kämen sie in den Genuss des Flüchtlingsstatus und würden vom UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR mit massivem Aufwand in speziellen Lagern versorgt. Aber sie sind im Kongo geblieben, trotz ihres Wechsels von einem Rebellengebiet ins nächste, und so sind sie nur „Internally Displaces Persons“ ohne Anspruch auf UN-Hilfe. Die Deutsche Welthungerhilfe und die französische Organisation Solidarité versorgen sie notdürftig mit ein wenig Lebensmitteln und Saatgut; ansonsten sind sie auf Gastfreundschaft angewiesen. In Kanyabayonga leben 36.000 Einheimische und 72.000 Vertriebene. „Hier leben in jedem Haus zwei bis fünf Vertriebene“, seufzt Vizebürgermeister Joel Lukolu Kambale.

Lukolu hat Angst, dass die Kämpfe bald auch seine Region erreichen. „Die Interahamwe haben sich verstärkt und verstecken sich hinter diesem Berg“, sagt er und zeigt aus dem Fenster seines winzigen Büros nach Süden. „Dort besetzen sie Häuser und Felder. Manchmal gibt es Militäroperationen gegen sie, aber wenn das Militär geht, kommen sie wieder.“

Die UN-Mission im Kongo bekommt davon nichts mit. Gerade vier UN-Beobachter sind für ganz Nord-Kivu zuständig. Und die Hutu-Milizen in Walikale entziehen sich jeder Kontrolle. UN-Generalsekretär Kofi Annan bekam zwar Anfang September von Kongos Präsident Joseph Kabila die Zusage, 3.000 Interahamwe zu demobilisieren; sie wurden letzte Woche der UNO übergeben. Aber das waren nur solche Hutu-Kämpfer, die in Kabilas Armee dienten und jetzt ausgemustert werden. Die Milizionäre im Osten wüten weiter. „Ihr in Europa denkt, der Krieg im Kongo sei vorbei“, schimpft Flüchtlingsvertreter Syavukivwa. „Aber wir hier müssen fliehen.“

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