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Ein geeinter Haufen

Bei den Taliban, die kaum Strukturen kennen, sind Palastrevolten und Fahnenflucht unbekannt

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Eine amerikanische Karikatur von 1992 zeigt links einen Mudschaheddin, der die Arme in die Höhe wirft und ruft „Allah sei gepriesen! Afghanistan hat den Kommunismus besiegt, diesen Anachronismus des 20. Jahrhunderts . . .“ Die rechte Blatthälfte führt den Satz zu Ende: „. . . und es ist frei, ins 11. Jahrhundert zurückzukehren“. Das Bild zeigt Afghanen, die sich niedermetzeln und kolportiert einen Gemeinplatz: So berühmt die Afghanen dafür sind, sich gegen einen äußeren Feind zusammenzuraufen, so berüchtigt sind sie für ihre ethnischen Intrigen und Zerwürfnisse. Die Mudschaheddin bewiesen dies 1992, als sie um die Verteilung der Kriegsbeute nach dem Abzug der Sowjets kämpften. Das war die Chance der Taliban. Die unter der Fahne des Islam geeinte Streitmacht fegte 1994 die alten Kämpfer vom Platz.

Bereits zwei Jahre später konnten sich die Islamschüler in der Hauptstadt Kabul einrichten – wild aussehende Gesellen mit schwarzen Turbanen, ohne Rangabzeichen und Uniformen. Ihre einzige militärische Formation schien eine dicht gedrängte Schar auf Toyota-Geländewagen zu sein. Wo immer sie auftauchten, liefen lokalen Milizen, Mudschaheddin-Führer, ehemalige Soldaten und Offiziere zu ihnen über. Die Taliban gewannen mehr durch Verrat als durch Eroberung. Nach fünf Jahren beherrschen sie mit ihrer drakonischen Selbstjustiz 95 Prozent des Landes – ohne Zeichen von Palastrevolten und Fahnenflucht.

Das ist umso erstaunlicher, als die Taliban kaum staatliche Institutionen errichtet haben. Ihr Führer ist noch immer der 40-jährige Mullah Omar, der zurückgezogen und wortkarg in Kandahar lebt, umgeben von zwei Dutzend Beratern, die als „Kandahar-Shura“ bekannt sind. In der Hauptstadt waltet die „Kabul-Shura“, ebenso junge wie trotzige Kämpfer. Die hat den Ruf, „liberaler“ zu sein als die in Kandahar. Doch ein ständiges Personenkarussell sorgt dafür, dass sich keine Faktionen bilden.

In der Bevölkerung hat sich die Begeisterung für die Taliban rasch gelegt, da sie den Wiederaufbau der Infrastruktur völlig vernachlässigen. Es gibt weder regionale noch lokale Verwaltungseinheiten. Die traditionellen Strukturen von Ältestenräten und Volksversammlungen werden von den Taliban mit Misstrauen beäugt, weil sie sie an die ethnischen Spaltungen erinnern, auch wenn ihre obersten Führer Paschtunen sind. Moderne Verwaltungsstrukturen verbinden die Taliban mit dem modernisierenden Kommunismus der 70er-Jahre. Es bleibt als einzig bindendes Element der Islam – aber auch dieser ist nicht wirklich übergeordnet, sondern auf die sektiererischen Deobandi- und Wahabi-Varianten des sunnitischen Glaubens ausgerichtet.

Doch es fehlt jede Regung von Widerstand. Ein Volk mit einem derart hohen Anteil an Waisen, Witwen und Alten scheint nach 20 Jahren Krieg nicht mehr die Kraft zu haben, sich gegen eine Miliz aufzulehnen, die im Namen der Religion jede Willkür rechtfertigen kann. Mittelschicht und Intellektuelle leben im Exil. Und die alten, noch immer vom Stigma der Korruption und Machtwillkür behafteteten Warlords halten sich bedeckt.

Die Macht Mullah Omars über seine wie Dorfmilizen organisierten 45.000 Mitstreiter liegt bei den ausländischen Kämpfern. Sie werden auf 12.000 Mann geschätzt. Die Pakistaner, Sudanesen, Usbeken und Araber sind nicht nur besser trainiert als die eigentlichen Islamschüler. Wie ihr Held – und in vielen Fällen Sponsor – Ussama Bin Laden sind sie gekommen, um am Dschihad teilzunehmen. Sie bilden das ideologische Rückgrat Omars, vielmehr als die jungen Islamschüler, die aus den Flüchtlingslagern in Pakistan zu den Taliban kamen, weil dies ihre einzige Überlebenschance war.

Viele Ausländer kontrollieren und bedienen das schwere Kriegsgerät und die Kommunikationsmittel. Es handelt sich um alte Bestände aus sowjetischen Arsenalen – einige Dutzend T-55 und T-59 Panzer, Kanonen, Granatwerfer, Boden-Luft-Raketen, MIG- und Sukhoi-Jets. Nur die persönlichen Waffen, allen voran Kalaschnikows und MGs, sind neu, nicht zuletzt dank der Großzügigkeit Bin Ladens.

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