piwik no script img

Keine andere Wahl als die der Waffen

■ Im B-Movie: Lars Beckers Schattenboxer und der Diskurs des „guten Lebens“

Manchmal wünscht man sich filmische ÄsthetikerInnen, die ihre Bilder und Erzählungen lieben und mit ihnen spielen. Solche, die aus reiner Selbstvergessenheit ihre gradlinigen Ziele aus den Augen verlieren und sich stattdessen mitsamt von Einstellungen, Szenen und Handlungssträngen verknoten. Sicherlich wäre das ein sinnloses Spiel mit der Form – aber bisweilen ermöglicht es einen Genuss. Ein Vergnügen, das filmischer Realismus untersagt, weil er sich der Wirklichkeit anpassen will. Zwar hat man es auch dann mit einem gestaltenden Medium zu tun, doch bleibt die Musik unauffällig und das Wetter schlecht.

So ist es auch in Lars Beckers Schattenboxer, den das B-Movie anlässlich der bevorstehenden Hamburg-Wahl zeigt. Selbstverständlich hat der Film damit gar nichts zu tun, sind doch die ProtagonistInnen derartige Underdogs, dass ihnen selbst hochheilige Wahlversprechen nichts einbringen würden. Als irgendwie kriminell, eingewandert, Kampfhundebesitzer oder poten-zielle Abschiebehäftlinge sind ihre Interessen zwar möglicherweise mit denen des Establishment identisch – „Geld“ –, doch die Mittel ihrer Wahl sind illegal.

Das unterscheidet sie mitnichten von ihren Polizei-im-Dienst-Widersachern, die hier als Flugbegleitung der Abzuschiebenden gleichzeitig einen florierenden, internationalen Drogenhandel betreiben. Eine Scheidelinie zwischen Outlaws und offiziellen Gesetzeshütern errichten lediglich die drohenden Konsequenzen einer Gesetzesüberschreitung. Wäh-rend die einen in der Sicherheit ihres Amtes operieren, sind die anderen die Zielscheibe unkontrollierter polizeilicher Machenschaften. Im Punkt der Inneren Sicherheit, die mittlerweile als gespenstische Schlagwort-Luftblase Staats- und Stadtpolitik mit dem Versprechen eines ungestörten Lebens erfüllt, bleibt hier mit Regisseur Becker zu fragen, was eine Grenzlinie legitimiert, die zwischen unüberwachten Staats-Privilegierten und ausgegrenzten Randgruppen unterscheidet. Denn in einem ist die Aussage Beckers klar: Beide Seiten des Verbrechens eint der Wunsch nach einem Zugang zum „schönen Leben“.

Allerdings ist das „schöne Leben“ in Schattenboxer eher fantasielos entworfen. Zwar sind die Charaktere so ausgestaltet, dass eine eindeutige Sympathieverteilung ermöglicht wird – der kickboxende, kleinkriminelle Adonis ist schöner anzuschauen als schmierige Polizisten, die außer Geld nichts zu gewinnen haben. Aber ansons-ten sind ihre männlichen Verhaltensweisen erstaunlich de-ckungsgleich. Wenn die Eroberung des anderen Geschlechts einen großen Anteil eines „schönen Lebens“ ausmacht, ist schon frappierend, wie wenig die Männer zu bieten haben: Hier wie dort herrscht emotionale Verständnisunfähig-keit, die in Abstand zu den angebeteten Frauen versetzt.

Die wiederum sind ansehnliche Zicken mit wirklichen tollen Brüsten, deren Thoughness im Gegensatz zu den „Jungs“ keine maßgebliche Rolle spielt. Zuletzt daher zwei Fragen: Müssen Underdogs als sprachunfähige, kampfsportbesessene Wilhelmsburger dargestellt werden? Und: Warum fällt es so wenig Filmschaffenden ein, eine erdenkliche und nicht bereits erdachte Welt auf die Leinwand zu bringen? Doro Wiese

Do, Sa + So, 20.30 Uhr, Sa auch 22.45 Uhr, B-Movie

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen