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Feuerrote Strickreizwäsche!

■ Highlight an Highlight beim Auftakt des Bremer Krimifestivals: Zwei Tatort-Kommissare, Thea Dorn und der Radio Bremen Krimi-Literaturpreis

Es war eine ungewöhnlich stürmische Nacht. Nelly saß im großen Salon von Plumbourough Castle am Kamin und starrte ins Feuer. Der alte Lord Plumbourough war schon zu Bett gegangen. An den Wänden bewegten sich Schattenkrallen auf Nelly zu – nein, es war nur der Wind, der die Äste der alten Eiche schaukelte... Und dann kommt irgendwie eine kalte Hand auf ihrer Schulter oder vielleicht eine kehlige Stimme aus der Unterwelt, die Nellys Namen stöhnt. Stellt man sich so nicht Krimis vor?

Vielleicht vor hundert Jahren. Der Auftakt zum internationalen Krimifestival „Prime Time – Crime Time“ am Dienstag abend im Sendesaal von Radio Bremen hat zumindest dies bewiesen. Heute sind Kriminalgeschichten meist mehr aus dem Leben gegriffen, nicht ganz so Hitchcock-like.

Da waren die fleischgewordenen Kriminalhelden zu Gast: Die Tatort-Kommissare Brockmüller (Charles Brauer) und Lürssen (Sabine Postel) lasen Texte der englischen Krimi-Größe Dorothy L. Sayers und ihres amerikanischen Pendants Raymond Chandler. Die hatten zwar beide bereits Mitte des Jahrhunderts ihre große Zeit, aber ihre Texte sind keineswegs veraltet.

Charles Brauer las Chandlers Detektivfigur Philip Marlowe so überzeugend, dass dem eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist. Außer vielleicht die kleinen Prustanfälle zwischendurch: Chandler besaß einen unglaublich feinsinnigen Humor. Selbigen übertraf nur die Krimi- und Hörspielautorin Thea Dorn, die beim Radio-Bremen-Krimiabend eigene Kurzgeschichten vortrug. Eine davon, „Verstrickt“, ist die Geschichte eines Abends, an dem ein ungeliebter Verehrer einer Frau ein abstruses Geburtstagsgeschenk macht: selbstgestrickte feuerrote Reizwäsche. Zu guter Letzt wird derselbe junge Mann mit dem Strick-BH erwürgt und das Publikum applaudierte einem fantastischen Autoren- und Lesegenie. Dagegen machte Private J.B. Cool, erdacht von dem Bremer Autor Jürgen Alberts, keine so gute Figur. Da war er zwar, der Bremer Bezug, aber ist es nicht ein bisschen abgegriffen, für die Abgeordneten beim Schaffermahl Haschkekse zu backen, so dass diese sich dann bis auf die Unterhose entblößen?

Der Münchner Schriftsteller Friedrich Ani hatte beim Auftakt der Krimi-Tage seinen großen Auftritt: Radio Bremen verlieh ihm den 5.000 Mark schweren Krimi-Literaturpreis, der in diesem Jahr erstmals verliehen wurde (siehe Interview).

Im Gegensatz zu den Krimitagen selbst: „Prime Time – Crime Time“ findet nun schon zum vierten Mal in Bremen statt und ist immer noch das einzige Krimifestival Deutschlands, veranstaltet von zahlreichen Bremer Buchhandlungen. Eines der Highlights der diesjährigen Krimitage ist die Autorin Polina Daschkowa, die in ihrem Heimatland Russland bereits als Superstar gehändelt und zusammen mit Jürgen Alberts, heute abend im Gondel Kino lesen wird. Daneben finden an unterschiedlichen Orten Lesungen von Colin Dexter, Susanne Mischke, Kurt Lanthaler, dem italienischen Autor Nino Filastò, Friedrich Ani und Petra Oelker statt. Am Freitag gibt es dann im Bremer Ratskaller das große Finale mit allen Autoren des Festivals.

Und auch im Radio wird geschossen. Schon seit Anfang September sendet Radio Bremen 2 Krimi-Hörspiele vom Allerfeinsten. Am Freitag um 23 Uhr überträgt der Sender die Lesung des Preisträgers der Krimitage, Friedrich Ani. Am Sonntag um 17.15 dann ein Hörspiel mit dem vielversprechenden Titel „Die eine will meinen Ausweis sehen, die andere leckt sich die Lippen“. Dabei geht es nicht ums Sielwall-Eck, sondern um die Rolle von V-Leuten beim Anzetteln von Straftaten auf Demonstrationen. Der Autor Winfried Roth hat in der Szene recherchiert und ein Psychogramm von Menschen in der Grauzone der Legalität geschrieben. spo

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