: In der Villa Ville Valo
Dunkle Mächte, Mythen, Mutationen, eine Frau trägt rote Riesenmähne und Push-up und eine große Spinne krabbelt über die Videowand: Die finnischen Gruftrocker Him spielten im unwirtlichen Velodrom und inhalierten eine Menge Mädchenschweiß
von ANDREAS BECKER
Diese Kraft und Lebensfreude – beneidenswert erscheinen uns die Schwimmer, die wir hinter den Fenstern auf und ab paddeln sehen. Der lange Betongang vom S-Bahnhof zum Velodromeingang ist schwarz. Him-Fans glauben noch an dunkle Mächte, Mythen, und wie Mutationen sehen manche auch aus. Besonders die Frau mit der roten Riesenmähne und dem Push-up, der ihren Busen bis unter ihre Nase quetscht.
Wenn die Fans wüssten, wie ihr Guru Ville Valo sich inzwischen kleidet, hätten sie sich vielleicht noch mal umgezogen. Vor His Infernal Majesty (Him) liegen aber noch die Bombastrocker The Mission, die unwürdigerweise im Alter wieder als Vorband antreten dürfen. Rockstar möchte man auch nicht in jeder Band sein. Mission erzeugen keinerlei Reaktion im Publikum. Dann beginnen sich endlich die drei großen Buchstaben auf der Videoleinwand über der Bühne zu drehen. Blaulicht transformiert das unwirtliche, dreiviertelvolle Velodrom in ein UFO.
Diesmal kommt die Besatzung aus Finnland. Werden sie uns nach zwei Stunden in ihre merkwürdige Welt der Finsternis entführen? Vor knapp zwei Jahren in der Arena war Ville Valo der dunkle Geist. Jetzt trägt er ein rotes Hemd, rote Schuhe und so was wie Bluejeans. Er trinkt erstmal kräftig Jägermeister zum Stimme ölen.
Wer zu „Join Me“ noch meinte, mit Him ließe es sich am schönsten sterben, sieht sich nun einem ziemlich normalen Pop-Poser gegenüber. Immerhin krabbelt eine große Spinne über die Videowand. Ob und welche Sünden Valo persönlich so begeht, ist nicht bekannt. Über sein Privatleben spricht der 24-Jährige prinzipiell nicht. Wahrscheinlich sitzt er das Jahr über ganz normal mit Frau und Kindern in der Sauna der Villa Ville. Aber jetzt muss er hier weiter Kette rauchen, kräftig Mädchenschweiß inhalieren und den Sänger machen. Der Sound seiner Band ist übrigens so schrottig, dass man sich ernsthaft fragt, warum Menschen über 50 Mark für diesen Mumpitz ausgeben. Villes irgendwie zu dünner Körper umfasst den Mikroständer, der ihn wie eine Krücke stützt. Mal setzt er ein Bein vor, dann wieder zurück. Jetzt könnte es losgehen. Nur knallt bei Valo nie die Startpistole. „Ohhoho, how beautiful you are“ raunt er lieber.
„I light me a cigarette, if you don’t mind“. Dabei muss ich unpassenderweise daran denken, dass wir bald vier Pfennig mehr für die Zigarette bezahlen werden – zur Terrorbekämpfung. Jetzt kommt er zu einem seiner größten Hits. „Wicked Game“, die Coverversion eines Chris-Isaak-Songs. Valo war sogar ein wenig beleidigt, dass dieser Song der größte Hit auf dem damaligen Album wurde. Deshalb hat er auf der neuen Platte lieber keine Coverversionen veröffentlicht.
In der letzten Woche hätte man Him sicher noch mit den brennenden Hochhäusern in New York in Verbindung gebracht. „Join Me“ war nämlich Filmmusik zu Roland Emmerichs „The 13th Floor“ von 1998. Ville Valos Vorbild war als Kind schon mit nur acht Jahren angeblich der Sänger von Kiss, Gene Simmons. Hoffentlich überwindet Valo irgendwann auch dieses Trauma.
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