: Draußen vor der Tür
Erst hatte er kein Glück, und dann kam noch Pech dazu: Wie das Theater einmal über den Fußball triumphierte
Wir standen in der kurzen Schlange vor der Abendkasse der Volksbühne und würden gleich drankommen: Für die Vorstellung „John Gabriel Borkmann“ im Rahmen des Theatertreffens wollten wir Karten für Sebastian, Manja und mich. Manja war Sebastians Kulturreferentin und noch nicht da. Aber es gab noch einige dieser schweineteuren Karten, und je näher wir dem Kopf der Schlange rutschten, desto stärker beschlich mich eine seltsame Furcht.
Ich meinte daraufhin zu Sebastian, dass er Manja eigentlich auch sehr selten sehen würde, ja Mann, sogar noch seltener als mich, und da das ja ein bisschen blöd sei eigentlich, so zu dritt, und dass sie sich das vielleicht auch ein wenig anders vorgestellt hätte, und er, Sebastian, eventuell sogar auch, obwohl ich ihn ja Manns genug einschätzte, dass er das natürlich einfach sagen würde, aber bei Manja sehe das schon anders aus, da wir, also sie und ich, uns nicht so gut kannten wie wir, also Sebastian und ich, und dass wir, also Manja und ich, uns zwar schon ganz gut leiden könnten, ich aber aus gesicherter Quelle wüsste, dass sie manchmal mit meinem Stil Schwierigkeiten hätte, also zum Beispiel mit meiner Angewohnheit, den gebrauchten Kaugummi auf Zigarettenschachteln oder Ähnlichem zu drapieren, um ihn später weiterzukauen, und dass genau mit diesen Schwierigkeiten heute Abend zu rechnen wäre, wenn er sich nur mal meine Kleidung anschauen würde, wobei ich ja der Meinung sei, dass Kulturkritik nicht im Graben zwischen Bühne und Parkett enden sollte, aber Manja würde, wie ich sie kenne, ganz schön gucken, wenn sie mich hier so im Theater sehen würde, mit meinen Espadrilleschläppchen und mit der abgeschnittenen kurzen Hose, über die ich mir neulich nach Fines Umzug einen halben Teller Kartoffelsuppe geschüttet und die ich danach nur sehr oberflächlich und unmotiviert grob gereinigt hätte, und überhaupt hätten sie beide, Sebastian und Manja, den Abend und speziell das Theaterstück sicher gerne ohne diesen lauten und schmutzigen Begleiter . . . „Mann, ja“, stimmte Sebastian zu, „du hast völlig Recht!“
Wir waren dran, und er kaufte zwei Karten. Zwei! Er wusste nur zu gut, dass zur selben Zeit wie das Theaterstück im Fernsehen Bayern München gegen Real Madrid lief – wie feinfühlig er doch war: Die ganze Zeit über musste er meine bange Zerrissenheit gespürt haben! Dankbar versprach ich, noch mit ihm bei einer Dose Bier im Hundeklo vor der Volksbühne auf Manja zu warten.
„Die kommt nicht“, eröffnete er mir, als die Dosen alle waren, „die wollte lieber Fußball gucken – lass uns reingehen!“
ULI HANNEMANN
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