Der Erpressungskünstler

Name: Vincent Gallo. Beruf: Schauspieler und Gelegenheitsmusiker. Idole: Richard Nixon und Pier Paolo Pasolini. Politische Gesinnung: fragwürdig. Besondere Merkmale: beherrscht den Code of Cool

Der Deal bei Gallo-Interviews: Man druckt sie „Wort für Wort. Oder gar nicht.“

von THOMAS WINKLER

Dieser Tage liegen die Dinge kompliziert im Kosmos des Cool. Warum ist einer der eigensinnigsten Schauspieler unserer Zeit ein in Hollywood arbeitsloser Antisemit? Wie kann ein homophober Sexist so berührende, einfühlsame Musik machen? Und wie landet ein bekennender Rechter und Nixon-Verehrer auf dem Cover der Spex?

Weil Vincent Gallo eine Platte namens „When“ gemacht hat. Eine ruhige Platte, eine Platte, die sich auf der Suche nach der perfekten Traurigkeit befindet. Eine Platte, die sich den digitalen Errungenschaften unserer Tage konsequent verweigert, auf der man ganz leise die Röhrenverstärker hören kann, die Knistern wie ein Hintergrundrauschen aus Sehnsucht. Eine schöne Platte. Der Hauptgrund aber für den humorlosen Mann auf dem Titelbild ist: Gallo erpresst die Presse. Schon immer ist seine Bedingung: Kein Cover – kein Interview! Hierzulande hat das Magazin Intro abgelehnt. Spex nahm an.

So oder so, der Mann, der äußerlich immer mehr Charles Manson ähnlich wird, hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Nicht vielen sagt der Name Vincent Gallo etwas, aber wenn man hinweist auf „Arizona Dream“, erinnert sich fast jeder, wie er „Der Pate“ parodiert und die berühmte Verfolgungsjagd im Maisfeld aus „Der unsichtbare Dritte“ nachstellt. Dann heißt es schnell: Ja, klar, der ist klasse. Völlig durchgeknallt, aber klasse. In „The Funeral“ dominiert er gar als regungslose Leiche. Eine Rolle, die er als seine schwerste bezeichnet: „Ich habe für diesen toten Typen mehr recherchiert als für jeden anderen Part.“

Aber Gallo ist nicht nur Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor, nicht nur Musiker, Sänger und Komponist, Produzent, Gitarrensammler und Hi-Fi-Journalist, nicht nur Model für Calvin Klein, war nicht nur dereinst ein erfolgreicher Maler und Motorradrennfahrer. Gallo ist vor allem erst einmal Gallo. „Ich bin kein Künstler“, sagt er, „ich bin eine Nutte.“ Ein Egomane, dessen einzige Regiearbeit „Buffalo 66“ vor allem eine Aufarbeitung der eigenen Biografie und Rache an seinen Eltern war. Ein Kontrollfreak, der sich fürs Grand Royal Magazine der Beastie Boys selbst interviewte: „Vincent Gallo interviewed by Vincent Gallo, photographs by Vincent Gallo, hair and makeup bei Vincent Gallo, clothing bei Vincent Gallo.“ Das Interview kam an in der Redaktion mit einem kleinen Kärtchen voller Anweisungen: „Hier ist der Deal. Ihr druckt es Wort für Wort, wie es geschrieben ist. Oder gar nicht. Wort für Wort. Oder gar nicht.“

Das Interview schließlich war brillant: amüsant und selbstironisch. Denn das Multitalent Gallo besitzt die seltene Gabe, in allen seinen Erscheinungsformen die Codes of Cool einzuhalten. Selbst seine Beschimpfungsorgien sind unterhaltsam. Nur: Sie lassen vor allem verbrannte Erde hinter ihm zurück. Nach den Dreharbeiten zu „The Funeral“ bezeichnete er Regisseur Abel Ferrara als Crack-Head, der es nicht schaffe, aus seinem verdreckten Wohnwagen zu kommen, um die Dreharbeiten zu überwachen. Annina Nosei, in den 80ern Gallos und Basquiats Kunsthändlerin, nannte er eine „pfennigfuchsende Verrückte“, die ihn jahrelang beschissen habe, Filmpartnerin Patricia Arquette „abartig“ und Tim Roth einen „dreckigen, untalentierten britischen Zwerg“.

Kein Interview vergeht, in dem der Nichtraucher und Antialkoholiker Gallo nicht auf die verderbliche Wirkung von Drogen hinweisen würde, sich über Schwule aufregt, ein paar Sexismen und Rassismen fallen lässt oder Hollywood als von Juden kontrollierten Moloch darstellt: „Ich will einen Film machen mit einer behinderten, schwarzen, jüdischen Lesbe als Protagonistin, damit ich einen Preis in Sundance gewinnen kann.“ Nun wundert er sich, dass er keine Angebote mehr aus Hollywood bekommt. Ein zweiter Film nach „Buffalo 66“ rückt in immer weitere Ferne. Wohl auch deshalb hat er sich wieder auf seine Karriere als Musiker besonnen, die dereinst in den späten 70er-Jahren in New York begann. Damals spielte der Teenager Gallo zusammen mit Jean-Michel Basquiat in einer Band namens Gray.

So wie in „Buffalo 66“, so wie in den meisten seiner Rollen, ist auch auf „When“ das alles beherrschende Thema die Einsamkeit. „Yes I’m Lonely“ heißt trotzig einer der Tracks, die durch die Bank ein verstörendes Gefühl der Verlorenheit zurücklassen. Diese Einsamkeit ist es, die dafür sorgt, dass Gallo auch mit 39 Jahren noch von einem jugendlichen, ungestümen Hass umgetrieben wird.

Manche seiner Kurzgeschichten beginnen als launige Erinnerungen an die eigene Kindheit in Buffalo, um schließlich davon zu erzählen, wie er als dauerwichsender Pubertierender wegen Exhibitionismus verhaftet und schließlich mit 16 Jahren von seinem Vater aus dem Haus geprügelt wurde. „Auf meine eigene erbärmliche Art“, sagt Gallo, „bin ich der glücklichste Mensch der Welt.“ Dann folgen atemlose Hasstiraden, in denen er ohne Unterschied auf Marihuanaraucher, Flughäfen und das Internet, weinende Frauen und Harmony Korine einschlägt. Seine Eltern mögen aus Sizilien stammen, aber Italiener sind „Affen“, die „nie arbeiten, aber immer essen“.

Gallo ist Fan von Richard Nixon, seit er dem Expräsidenten im Alter von 13 Jahren begegnet ist, und seine Liste der ihm sympathischen Menschen zieren Ronald und Nancy Reagan, Newt Gingrich, Rush Limbaugh, John Wayne und Charlton Heston. Auf der anderen Seite aber tauchen auch Andy Kaufmann, Pier Paolo Pasolini und Johnny Ramone auf. Man stelle sich die alle zusammen an einem Tisch vor. Gäbe womöglich ein paar interessante Streitgespräche.

Eines kann man am Beispiel Vincent Gallo auf jeden Fall lernen. Genie schützt nicht vor Dummheit. Und Stilsicherheit nicht vor Konservatismus. Bis in die 90er-Jahre reichte der Konsens, dass jemand, der die richtige Musik hört, die richtigen Filme mag und die richtigen Klamotten trägt, auch automatisch die richtige politische Einstellung hat. Gallo hat diesen Konsens aufgekündigt. Die Dinge sind wohl nicht mehr so einfach, wie sie einmal waren.

Vincent Gallo: When (Warp/Zomba)