zwischen den rillen
: Modelle des Dancehall-Crossover: Shaggy und Sizzla

Nöte in Satin

Um seinen Platz in der „Encyclopedia of Reggae“ braucht Shaggy nicht mehr zu kämpfen. Den Grammy für die beste Reggae-Platte hat man ihm schon 1996 überreicht. Bei führenden Plattengeschäften aber wird man seine CDs erst in der HipHop/ R ’n’ B-Abteilung finden.

Mit seinem aktuellen Album „Hot Shot“ liegt Shaggy dort richtiger denn je. Dass er damit an der Spitze der deutschen Charts steht, ist ein phänomenales Comeback für einen, den seine frühere Plattenfirma wegen fehlender Erfolge rausgeschmissen hat. Glück für den Künstler – weniger allerdings für die Gattung Dancehall-Reggae, die Shaggy mit „Hot Shot“ in eine symptomatische Sackgasse führt: Sein Versuch, Dancehall mit R ’n’ B zu versöhnen, bedeutet Verwässerung. Und das verweist auf ein grundsätzliches Problem jamaikanischer Reggae- und Dancehallstars, die, außerhalb der reinen Lehre und eingeschworener Fans, nach künstlerisch produktiven Stilfusionen suchen.

Nicht zuletzt Bob Marley hat bewiesen, dass Fusionen glücken können. Denn Marleys Definition von Reggae entsprach keineswegs dem damaligen Standard seiner Heimat. Als sein Produzent Chris Blackwell 1972 die Aufnahmen der bahnbrechenden LP „Catch A Fire“ in den Händen hielt, ahnte er, dass nun das zahlungskräftige Rockpublikum in Europa und Amerika Gefallen an Reggae finden könnte, und so schickte er das Material nach England mit der Auflage, noch kleine Melodien zu addieren, den rauen Reggae-Sound zu fönen und zu polieren, ohne es damit aber bis zur völligen Entstellung zu treiben.

Produktiv war auch der Einfluss von Stilen und Techniken des Reggae in anderen Kontexten. Bands wie die Fellow Travellers etwa verfremdeten US-Folk in zurückgelehnt klingenden Dub, und Londons Jungle-Szene bediente sich der Drumsounds und Gesangsparts des Reggae. All dies war überzeugend, wenn auch oft nur für ein Spartenpublikum.

Nun also Shaggy. „Oh Carolina“, sein Hit von 1993, war die Coverversion eines Songs der Ur-Reggae-Band Folks Brothers, was bei dem mit 19 Jahren von Jamaika nach Brooklyn/ New York gezogenen Orville Richard Burrell, so sein bürgerlicher Name, auf eine gehörige Portion Traditionsbewusstsein schließen ließ. Und mit „Mr. Boombastic“ konnte sich Shaggy, der im zweiten Golfkrieg seinen Militärdienst versah, darauf berufen, dass man Potenzprotzerei auf Jamaika gern deftig mag. Sex ist auch Thema seiner Erfolgs-Single „It wasn’t me“. Doch um welchen Sex es geht, illustrierte der (auf der CD enthaltene!) Videoclip zum Song: Gerahmt durch eine Shaggy-in-Not-Verfolgungsjagd, wurschtelt sich der Held durch viel Satin, lässt sich von Mädchen anhimmeln und benutzt schwere Allrad-Karossen, nur um die Hetzjagd im gutbürgerlichen Landhaus zu beenden. Dabei gehört „It wasn’t me“ mit seiner eingängigen Melodie und zurückhaltenden Instrumentierung noch zu den gelungeneren Stücken, während der Rest der Platte das Schlechteste beider Welten als Middle-Of-The-Road-Format zusammenkocht und zeigt, wie Shaggy versucht, als Sänger zu kaschieren, was ihm als Songwriter fehlt.

Lahme Songs sind auch das Problem der aktuellen Sizzla-Platte „Rastafari Teach I Everything“. Wo Shaggy im Hafen des Mainstream festmacht, da arbeitet Sizzla innerhalb des Systems und misst die Tiefen des sich als geschichtsbewusst verstehenden Conscious-Ragga aus – andere Stil-Koalitionen dürften einem wie ihm auch kaum offen stehen, denn mit seinen Sprüchen gegen Weiße und seinen martialischen Auftritten in Generalsuniform hat er nicht gerade auf die alte Reggae-Rhetorik der Verständigung gesetzt. Selbst viele seiner nicht gerade übermäßig politisch empfindlichen Landsleute halten ihn für einen fundamentalistischen Hitzkopf.

Während Sizzla auf Jamaika im zweiten Glied hinter Künstlern wie Beenie Man und Capleton steht, lobte ihn der amerikanische Rolling Stone als „leading artist“. Sein Kapital ist die Stimme: Die sich überschlagende Atemlosigkeit des Propheten kommt mal rhythmisch vertrackt und im nächsten Moment verletzt schmachtend daher und lässt eine innere Spannung aufblitzen, die nicht wenige mit seinen verquasten Statements versöhnen sollte.

Bei „Rastafari Teach I Everything“ hat man nun den Eindruck, als würden hier einige nicht wirklich schlechte, aber im Kern doch berechenbare Aufnahmen, die auf der erst kürzlich veröffentlichten Platte „Bobo Ashanti“ keinen Platz fanden, nun auf den Markt geworfen. Die auch hier wiedergekäuten Schlagwortklischees aus „Rastafari“, „Babylon“, „Marihuana“, „Ethiopia“, „Repatriation“, „King Selassie I“, „Marcus Garvey“ belegen, wohin der Weg führt, auf dem Sizzla unterwegs ist: nach innen, nicht nach vorn.

NILS MICHAELIS

Shaggy: Hot Shot (Universal)Sizzla: Rastafari Teach I Everything (Zomba)