: SPD will Muslime überwachen
Drei Tage vor der Landtagswahl regt der Hamburger SPD-Innensenator Olaf Scholz eine bessere Kontrolle der islamischen Minderheiten an. Die Maßnahmen sollen dem „Kennenlernen“ dienen und „Vorverurteilungen entgegenwirken“
von HEIKE HAARHOFF
Muslime in Hamburg sollen sich nicht länger unbemerkt von der Öffentlichkeit organisieren und ihrem Glauben nachgehen können. Das kündigte Hamburgs SPD-Parteichef und Innensenator Olaf Scholz am Mittwoch, vier Tage vor der Bürgerschaftswahl, in Hamburg an. Der erst seit Mai amtierende Senator zog seine 100-Tage-Bilanz vor Parteigenossen, Wählern und Presse. Mehr als 100.000 Muslime lebten in der Hansestadt, aber „die meisten Menschen wissen nicht einmal, wo die nächste Moschee ist“. Kaum jemand kenne sich aus „mit den Gruppen, die ganz friedlich miteinander leben“. Das müsse sich ändern. „Wir müssen gucken, ob es über diese friedlichen Menschen nicht mehr zu wissen gibt.“
Scholz betonte, es gehe nicht darum, die Muslime zu bespitzeln, sondern im Gegenteil „mehr über sie zu erfahren, auch, um pauschalen Vorverurteilungen entgegenwirken zu können“. Nach den Terroranschlägen in den USA sei diese Gefahr groß, zumal drei der mutmaßlichen Attentäter in Hamburg studiert hätten. Als Reaktion darauf habe Hamburg als erstes Bundesland mit der umstrittenen Rasterfahndung nach Personen begonnen, die zu dem potenziellen Täterkreis gehören oder ähnliche terroristische Ziele verfolgen. Die Profile, so Scholz, seien anhand der Täter von New York und Washington entwickelt worden. Weil diese aber völlig unauffällig gelebt hätten, „nie mit der Ausländerpolizei in Konflikt geraten“ seien und ansonsten fleißig studiert hätten, sei die Suche schwierig. „Das Problem ist, dass es praktisch keine Quellen gibt.“ Und so müssten „viele, viele Datenbestände überprüft werden“.
Regelanfragen beim Verfassungsschutz, beispielsweise von Asylbewerbern, schloss Scholz jedoch aus. Allerdings werde das Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich islamistischer Extremismus personell aufgestockt. Die Hamburger Polizei müsse nach acht Jahren rigidem Sparkurs keine weiteren Einsparungen fürchten. Im Gegenteil: Die Drogenszene am Hauptbahnhof werde weiterhin bekämpft. Der umstrittene Brechmitteleinsatz, mit dem der einst als liberal geltende Scholz nach seinem Amtsantritt ein sozialdemokratisches Tabu in Hamburg gebrochen hatte, auch nach der Wahl fortgesetzt. Und Schüler, die „wiederholt“ andere Mitschüler erpressten, würden notfalls ins Gefängnis gesteckt.
Protest gegen Scholz rechten Kurs regt sich wenige Tage vor der Wahl weder bei Genossen noch bei den koalierenden Grünen: Erstmals seit Monaten hat die schwer kriselnde SPD in der Hansestadt wieder einige Prozentpunkte zugelegt. Und vielleicht, so hoffen viele, lässt sich „dank“ der Anschläge in den USA die nach 44 Jahren erstmals drohende Abwahl noch einmal knapp vermeiden.
Nach der jüngsten Umfrage liegen Rot-Grün und der oppositionelle Rechtsblock aus CDU, FDP und der Schill-Partei Kopf an Kopf. Selbst CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust attestiert Scholz mittlerweile „inhaltliche Übereinstimmung bei der Terrorismusbekämpfung“, wenn auch „natürlich viel zu spät“.
Dass die SPD ausgerechnet mit dem von ihr selbst verkannten Thema innere Sicherheit, mit dem sie der Rechtspopulist Ronald Schill kalt erwischte, würde punkten können, hatte kaum jemand für möglich gehalten. Dennoch: Letzte Zweifel bleiben, ob es wirklich zum Wahlsieg reichen wird. Was, fragt ein Genosse, solle man erwidern, wenn Schill, der Stimmenfänger, unter großem Applaus fordere, Sexualstraftäter müssten sich kastrieren lassen, bevor sie Freigang kriegen? Scholz überlegt nicht lange: „Das ist doch Quatsch. Die Leute sind ja krank im Hirn und nicht im Schwanz.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen