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Unbekanntes Personal

■ Melanie Unseld untersucht musikalische Frauenfiguren

Was war es, das besonders Opernkomponisten in den Jahrzehnten um 1900 verstärkt an Frauenfiguren reizte, die am Ende selber sterben oder anderen den Tod bringen? Und inwiefern spiegelten sich in diesem Boom des Doppelmotivs „Weiblichkeit/Tod“ gesellschaftliche Befindlichkeiten wider? Diesen und anderen Fragen ist die Hamburger Musikwissenschaftlerin Melanie Unseld in ihrer jetzt bei Metzler erschienenen Doktorarbeit nachgegangen.

In vier großen Schritten umkreist die 30-jährige Autorin das komplexe Thema Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende. Zunächst beleuchtet sie den musik- wie kulturhistorischen Hintergrund und erläutert kenntnisreich, wie sich das Bild der Frau an der Schwelle zur Moderne wandelt und zwei Weiblichkeitstypen die Küns-te dieser Umbruchphase zu beherrschen beginnen: Während die Femme fragile ein zerbrechliches, asexuelles Wesen ist, das meist still das Leben aushaucht, bringt die Femme fatale tödliches Unheil über den Mann, weil er sich ihrer Verführungskraft nicht entziehen kann. Und oft bezahlt diese Art Frau für ihr Sosein selbst mit dem Leben.

Diese beiden – hier nur grob skizzierten – Entwürfe von Weiblichkeit aber als zwei völlig entgegengesetzte Pole zu begreifen, ist nach Unselds Ansicht „zu ungenau“ und raubt den Frauenfiguren der Jahrhundertwende ihre bewusst rätselhafte Vieldeutigkeit, „ihre Ungreifbarkeit und Unbegreiflichkeit“.

Die beiden mittleren Teile des Buches widmet die Musikwissenschaftlerin daher jeweils differenzierten Studien zur Femme fragile und zur Femme fatale. Die vielfältigen Ausprägungen dieser Typen veranschaulicht sie anhand von Beispielanalysen. So nimmt Unseld etwa die geheimnisvolle Kindfrau Mélisande aus Debussys Musikdrama Pelléas et Mélisande genauer unter die Lupe oder untersucht, was die Titelfigur von Richard Strauss' Skandaloper Salome mit der „wohlgepflegten Hysterie“ (Richard Specht) des Fin-de-siècle-Bürgertums zu tun hat. Der letzte Teil der Doktorarbeit schließlich behandelt den Tod des Ewig-Weiblichen, wie ihn die Opern Die Sache Makropulos von Leos Janácek und Lulu von Alban Berg auf jeweils ganz eigene Weise thematisieren.

So anspruchsvoll das Thema dieser Dissertation auch ist, die rund 300 Seiten starke Abhandlung der Wahl-Hamburgerin liest sich gut. Sprachlich klar gegliedert, weiß sie zu vermitteln, inwiefern die morbiden Frauenfiguren um 1900 zugleich „Projektionsfläche für Krisenängste und Reflexionsmedium für Traumfluchten“ waren. Unselds Buch bietet so einen notwendig neuen Blick besonders auf vermeintlich bekanntes Musiktheater-Personal. Dagmar Penzlin

Melanie Unseld: Man töte dieses Weib: Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende. Metzler, 2001. 79,80 Mark

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