„Wer Hunger und Not sät . . .“

Friedensveteranen bewerten die Terroranschläge als „Verzweiflungstat“ und „Antwort auf die westliche Politik der Spaltung der Welt in Arm und Reich“

aus KasselKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Für den Politologen Werner Ruf von der Gesamthochschule Kassel steht schon lange fest, dass die schlimmsten Terroristen in Washington sitzen. Oder in Tel Aviv. So sei etwa das von den USA inszenierte Embargo gegen den Irak ein „terroristischer Akt“ gewesen. Tausende hätten dort sterben müssen, nur weil es keine Medikamente mehr gab. Und die israelische Armee schieße in Palästina kleinen Jungen auf Balkonen in den Kopf. „Alles Terror.“ Rufs Schlussfolgerung: „Die Terrorakte gegen die USA sind die fürchterliche Antwort auf die westliche Politik der Spaltung der Welt in Arm und Reich.“

Der Hochschullehrer sprach auf dem außerordentlichen „Ratschlag“ der deutschen Friedensbewegung an diesem Wochenende in Kassel zum Thema „weltpolitische Implikationen von Terrorismus und Krieg“. Und er bekam viel Beifall für seine Ein- und Auslassungen. Vor Ruf hatte schon Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag und vom Kasseler Friedensforum in seiner Ansprache an die rund 150 Mitglieder von Friedensgruppen aus der ganzen Republik die „Verzweiflungstat“ (Ruf) der fliegenden Massenmörder in New York und Washington zwar als „schreckliche Terrorattentate“ verurteilt, den USA aber gleichzeitig eine Mitschuld attestiert: „Wer Hunger und Not sät, wird Terror ernten.“

Wie Ruf warnte auch Strutynski davor, der Wucht des Terrors die Wucht des Krieges entgegenzusetzen, sonst drohe das 21. Jahrhundert zu einem „Jahrhundert des Massakers“ zu werden. Gegen den geplanten „Krieg der Nato“ müsse die Bevölkerung jetzt „massenhaft auf die Straße gehen“. Gelegenheit dazu will ihr die Friedensbewegung schon bald geben. Am 13. Oktober sollen in Berlin und Stuttgart Großdemonstrationen stattfinden und bis dahin die Aktivisten der Friedensbewegung überall Diskussionsveranstaltungen und Mahnwachen organisieren. Im Zentrum der Kritik wird dann auch die Bundesregierung stehen. Bundeskanzler Schröder habe mit seiner Ankündigung, den USA „bedingungslos“ folgen zu wollen, die Menschen in Deutschland „in Geiselhaft genommen“, sagte Willy von Ooyen vom Bundesausschuss Friedensratschlag.

Nach Kassel gekommen waren vor allem die Veteranen der Bewegung, die schon in den Achtzigerjahren gegen die Nato-Nachrüstung protestiert hatten. Und wie in alten Zeiten lagen draußen im Foyer vor dem Gemeindesaal die richtungweisenden Publikationen der Speerspitzen des deutschen Proletariats aus: Unsere Zeit und die Rote Fahne.

Und sonst (fast) nichts. In der Generaldebatte auf dem „Friedensratschlag“ boten die dogmatischen Splittergruppen dann noch eine Phalanx von Rednern auf – und die Friedensbewegten hörten ihnen friedlich zu. Da trug ein Reinhard aus Hagen vor, dass die USA den „Krieg gegen die Dritte Welt“ schon lange vorbereitet hätten und der Anschlag auf das World Trade Center der Nato und ihren Krisenreaktionskräften einen willkommenen Anlass zum Losschlagen biete.

Eine Marianne von den Internationalen JuristInnen gegen Atomwaffen (IALANA) sprach davon, dass die USA und die Nato jetzt einen „Ring aus Krieg“ um die Erdöl fördernden Länder legen wollten, um dem Westen die zur Neige gehenden Erdölreserven zu sichern. Und ein anderer rief zur Unterstützung der „antiimperialistischen bewaffneten Befreiungskämpfe in Palästina und in Kolumbien“ auf. Auch dafür gab es noch Beifall.

Hart mit den USA ins Gericht ging auch der einzige US-Amerikaner im Friedensauditorium. Darnel Stephan Summers von der Organisation „Vietnam Veterans Against the War“ (VVAW) spannte einen Bogen von den Atombombenabwürfen auf Japan über den von den USA dominierten Golfkrieg bis hin zum „Nato-Bombardement“ eines Flüchtlingstrecks im Kosovokrieg 1999. Die USA, so Ex-GI Summer, seien der „world terrorist number one“.

Außer dem Appell an die USA und die Nato, auf einen militärischen Gegenschlag zu verzichten, wurden auf diesem Friedensratschlag andere Konzepte zum Ausstieg aus der „Gewaltspirale“ nur im Ansatz diskutiert. Hochschullehrer Werner Ruf verlangte eine „politische Kehrtwende“ bei der Bekämpfung des Terrorismus. Der Krieg gegen die Armut sei zu inszenieren. Und der Respekt vor anderen kulturellen Identitäten müsse gepflegt werden. Das entziehe den Terroristen den Nährboden. Krieg hingegen produziere nur neuen Terror. Sein Vorschlag, die „Kapitalisten“ mit in diese langfristig angelegte Strategie zur Befriedung der Welt einzubinden, weil die ein Interesse daran hätten, ihren Geschäften in Ruhe – ohne Krieg – nachzugehen, standen die Friedensfreunde in Kassel dann aber eher skeptisch gegenüber. Der Teufel, sagte einer von ihnen, könne doch nicht mit dem Beelzebub ausgetrieben werden.