piwik no script img

Ein unabsehbarer „neuer Krieg“

Militärexperten erwarten einen „fließenden und unbeständigen Krieg“ gegen eine Vielzahl möglicher Ziele, bei dem ein Sieg kaum zu definieren ist

von ERIC CHAUVISTRÉ

Die USA haben am Wochenende ihre Kriegsvorbereitungen fortgesetzt. Sichtbar waren vor allem die Anstrengungen, die künftigen Luftangriffen galten. So wurden weitere Einheiten im Indischen Ozean und am Golf zusammengezogen.

In Japan setzte sich der US-Fugzeugträger „Kitty Hawk“ mit etwa 70 Maschinen an Bord in Bewegung. Der Flugzeugträger „Theodore Roosevelt“ ist von den USA aus in Richtung Mittelmeer unterwegs. Zwei weitere Träger, die jeweils von bis zu 50 Kriegsschiffen begleitet werden, sind bereits in der Region. Langstreckenbomber der Typen B-1 und B-52, die auch mit Cruisemissiles ausgerüstet werden können, haben Luftwaffenbasen in den USA mit unbekanntem Ziel verlassen.

Es gilt als wahrscheinlich, dass die B-1- und B-52-Bomber auf den US-Luftwaffenstützpunk Diego Garcia im Indischen Ozean verlegt werden. Aufgrund ihrer ausgedehnten Reichweite, können sie von dort aus Ziele in und um Afghanistan problemlos direkt erreichen. Auch werden wohl Langstreckenbomber direkt von Stützpunkten in Großbritannien aus Ziele anfliegen.

Kampfflugzeuge der Typen F-15 und F-16 werden an den Golf verlegt. Dazu sind bereits jetzt KC-135-Flugzeuge zur Luftbetankung im Einsatz. Neben US-Basen in Saudi Arabien werden möglicherweise auch die ehemaligen Sowjetrepubliken Usbekistan und Tadschikistan als Stationierungsort dienen. Auch Stützpunkte in der Türkei, bislang schon bei regelmäßigen Einsätzen gegen Irak genutzt, werden in die Planung einbezogen.

Über die Zielgebiete der US-Angriffe sagen diese Verlegungen nichts aus. Noch hat die Bush-Regierung offenbar nicht entschieden, ob auch der Irak in die Angriffe einbezogen wird. „Es gibt einen Konflikt zwischen Außenminister Colin Powell, der zielgerichtete Attacken mit internationaler Unterstützung will, und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der einen ausgedehnten Krieg gegen so genannte Schurkenstaaten will“, meinte der US-Militärkritiker Michael Klare, Professor für Konfliktforschung im US-Bundesstaat Massachusetts. „Es ist auch ein Kampf über die Kontrolle der Golfregion. Die USA werden gegen Staaten vorgehen, die dort ihre Dominanz gefährden.“ Auch William Arkin, Berater einiger Nichtregierungsinstitutionen, Kolumnist für US-Zeitungen und in den 70er-Jahren als Geheimdienstoffizier der US-Armee in Westberlin stationiert, geht davon aus, dass Irak eines der Ziele sein wird. John Pike, Experte für Hightech-Rüstung und Leiter der kleinen Denkfabrik Globalsecurity.org in Washington, sagte im Gespräch mit der taz, es scheine fast, Rumsfeld wolle die terroristischen Attacken nutzen, um einen Angriff gegen Irak durchzuführen. „Ein baldige Attacke gegen Irak ist aber eher unwahrscheinlich.“ Denkbar sei zunächst eine Verstärkung der versteckten Operation gegen Bagdad.

Über die weiteren Ziele besteht auch unter US-Experten mit Zugang zu Geheimnisträgern weitgehend Uneinigkeit. Einige halten Somalia für ein mögliches Ziel, andere den Sudan. Aber auch Orte mit vermuteten Ausbildungslagern in Usbekistan, Tadschikistan oder im Beka-Tal des Libanon werden genannt. Angriffe in der direkten Nähe zu Israel dürften aber unwahrscheinlich sein, da die USA nicht daran interessiert sind, den labilen Friedensprozess mit den Palästinensern zu gefährden.

Obgleich Präsident Bush vor dem Kongress „von einer neuen Art von Konflikt“ gesprochen hat, erwarten US-Militärforscher eher eine Kombination lange bekannter Mittel. „Vieles wird an frühere militärische Einsätze in Vietnam, Beirut, Grenada, Haiti, Panama oder Somalia erinnern“, meint Klare. Exoffizier Arkin sieht die vermeintlich neue Art der Kriegsführung allein in der verstärkten Verbindung militärischer Aktionen mit Mitteln der Geheimdienste, der diplomatischen und der finanziellen Einflussnahme. Pike interpretiert die „neue Art von Krieg“ als Kombination aller verfügbaren Mittel des US-Militärs: „Es wird Luftschläge geben, es wird Spezialeinsatzkräfte in Afghanistan geben, um die Taliban anzugreifen, um Bin Laden zu fangen oder zu ermorden, und es wird eine weltweite Geheimdienstoperation geben.“

Für die Durchführung so genannter Spezialoperation stehen den USA vermutlich etwa 30.000 Soldaten zur Verfügung, dazu gehörten die „Rangers“ die „Navy Seals“ und die „Delta Force“, verdeckt kämpfenden Einheiten, die per Fallschirm und Hubschrauber ins Kampfgebiet gebracht werden. Als einzige Einheit eines Nato-Staates ist die britische SAS im Gespräch. Darüber hinaus halten US-Militäranalysten die Rolle der Nato nicht für militärisch relevant. Neben der politischen Unterstützung und der Bereitstellung von Stützpunkten sei für das Pentagon vor allem die Zulieferung von Geheimdienstinformation interessant.

„Der Krieg wird lange Zeit andauern, und es ist das Fehlen jeder Begrenzung, die Besorgnis erregend ist“, meint Militärexperte Klare. Auch Pike verweist darauf, dass es sehr schwierig sein werde „einen Sieg zu definieren“ und „zu wissen, wann der Sieg erreicht wurde“.

Es werde viele Monate dauern, um die al-Qaida-Gruppe zu zerschlagen, und viele Jahre bis die US-Regierung verlässlich wissen könne, ob sie damit Erfolg hatte. Auch die Bush-Regierung weiß offenbar nicht, wie lange der Krieg dauern soll. Ein Regierungsmitarbeiter, der in die Planungen einbezogen ist, hat deshalb schon einen neuen Begriff für die kommende Auseinadersetzung kreiert: Es werde ein „liquid war“ sein; ein fließender und unbeständiger Krieg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen