: Rote Engel im Schnee
Was ist schon perfekt an der Wirklichkeit? Die Fotografin Eva Bertram zeigt in der Brotfabrik, wie leicht sich die Codes des Alltagslebens dem Betrachter entziehen
Langsam sterben sie aus, weil auch die letzten Häuserlücken verschwinden. Die Stadt verdichtet sich. Dabei sind die meist grauen und irgendwie melancholisch stimmenden Brandmauern schön, weil sie das Auge von der sonst vorherrschenden Buntheit entspannen lassen.
Eva Bertram hat diesen Wert im täglichen Allerlei erkannt. Für ihre Ausstellung „Tag Ein Tag Aus“ in der Brotfabrik Galerie hat die 37-Jährige eine Brandmauer fotografiert, die in unregelmäßigen Abständen von Fenstern geziert wird. Sie wurden von den Bewohnern illegal ins Mauerwerk gestemmt, das kann man leicht an der unprofessionellen Ausführung erkennen. Doch Perfektion war gar nicht wichtig, es ging ja nur um ein bisschen Sonnenlicht für dunkle Zimmer.
Die Unmöglichkeit der Perfektion im Alltagsleben ist Thema der Fotografin mit dem ethnografischen Blick. Die Berlinerin rückt die alltäglichen Dinge, die Menschen in ihrem Umfeld, das leicht Verschobene im Gewöhnlichen in den Blickpunkt. Das kann ein Baum sein, der völlig von Mauerwerk umgeben ist. Oder ein liegen gebliebener Arbeitshandschuh auf poröser Teerstraße, die bestimmt schon lange keine Autoreifen mehr gesehen hat. Auch Straßen können einsam sein.
Die Dinge und die Figuren in Bertrams Farbfotografien formen sich zu poetischen Geschichten über die Liebe, das Leben, die Vergänglichkeit. Da sitzen Mann und Frau auf weißen Plastikstühlen im Garten, gucken sich an und irgendwie doch aneinander vorbei. Glücklich wirken sie nicht, eher gelangweilt – als ob sie sich schon lange nichts mehr zu sagen hätten.
Es könnte aber auch alles ganz anders sein. Die Bilder von Bertram bergen verschiedene Deutungsebenen. Es kommt auf den Betrachter an, ob er die Codes lesen will und kann, oder ob er ohne jegliche Interpretation die Arbeiten einfach auf sich wirken lässt. Bertram filtert das Emotionale des belanglos scheinenden Augenblicks aus dem alltäglichen Fluss heraus: Ein Mädchen im roten Overall liegt im Schnee und spielt Engel; der Schonbezug eines Autosessels wirkt nach vorn geklappt wie ein zum Sprung bereiter sibirischer Tiger. Fenster eines Einfamilienhauses sind von innen beschlagen. Wer weiß schon, warum? „Tag ein Tag aus wird es anders sein als es gewesen ist und daran wird sich nichts ändern“, steht am Anfang des Kataloges zur Ausstellung.
ANDREAS HERGETH
Bis 30. 9, Mi.-Sa. 16-21, So. 10-18 Uhr, Brotfabrik Galerie, Prenzlauer Promenade 3, Katalog 20 DM
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