: Exoten in die Hitparade
■ Nie mehr musikalisches Integrations-Vorzeigeprojekt: „Station 17“ arbeiten an der Normalisierung
Der Remix ist in der populären Musik ein gängiges Instrument sei es künstlerischen Ausdrucks; sei es zur Steigerung von Absatzzahlen – was im Pop zumeist gar keinen Gegensatz ausmacht. Ein Anzeichen für die lange eingeforderte Normalisierung ist da, dass sich auch Station 17, vielgelobtes Band-Projekt so genannt behinderter und „normaler“ Musiker, unlängst haben remixen lassen. Auf ihrem fünften Album Hitparade erweitern sich die langjährigen Lieblinge wohlmeinender Sozialpflege, empathischer Rezensenten und schwitzenden Konzertpublikums um Freunde und Kollegen zur Station 17+. Neue Versionen alter Stücke wurden von HipHoppern wie Denyo 77 (Absolute Beginner) oder Tobitobsen (Fünf Sterne De-luxe), Elektronikern wie The Modernist oder Steve Bug, oder auch Poperweiterern wie Kreidler oder Barbara Morgenstern angefertigt. Es ist an der Zeit einzusehen, dass es bei Station 17 mehr um Musik denn um Mildtätigkeit geht. taz hamburg sprach mit Bandgründer Kai Boysen und Hitparade-Organisator Harre Kühnast.
Kai Boysen: Schon auf dem ers-ten Album fanden Remixe statt – bloß gab es diesen Begriff noch nicht so. Seit 1993 ist Harre als DJ tätig, und er hat seinen Einfluss aus der elektronischen Musik hier reingebracht.
Harre Kühnast: Erst in einer primitiven Form, weil unsere Technik gar nicht ausgereift war. 1997/98 gab es die ersten Überlegungen zu diesem Konzept von Remixern, die jetzt auch teilweise vertreten sind. Wir haben das erstmal zurückgestellt. Jetzt haben wir eine Skala von Klangspezialisten zusammengestellt. Es gab wenig Vorgaben – die einzige war, den Vokal-anteil, also die behinderten Interpreten, nicht auszuradieren.
Boysen: Jeder Remixer hat sich in seinem Segment das ausgesucht, was am besten zu ihm passt.
taz hamburg: Eure letzten Alben sind beim hiesigen Label What's so funny about erschienen, Hitparade wird jetzt bei Mute veröffentlicht.
Boysen: Die Musik ist anders.
Kühnast: Für unser vorheriges Label war es schon beim letzten Album eine Schwierigkeit, das zu vermarkten. Das ist auch ein Novum: Wir sind das erste Release bei Mute Deutschland. Das ist ein Label, wo wir merken: Das kann leisten, was wir gerade brauchen.
Boysen: Wir sind auf dem Vollprofi-Status angelangt. Damit meine ich, dass unsere behinderten Kollegen nichts anderes machen, als an ihrer künstlerischen Entwicklung und an dem Projekt Station 17 zu arbeiten, dafür bezahlt werden und davon leben. Das ist eigentlich eine runde Sache geworden. Ich bin zurzeit ganz zufrieden.
taz hamburg: Wie wechselhaft ist die Besetzung?
Boysen: Diese Besetzung ist seit 1994 ziemlich stabil. Da haben sich Schwerpunkte entwickelt: Mancher ist eher Musiker, die überwiegende Zahl ist eher Sänger, hat das Bedürfnis, das Mikrofon in der Hand zu halten. Und wie die Band sich auf der Bühne präsentiert, das ist ja unser zentrales Ding: die Liveshow. Das hat sich entwickelt über weit über hundert Konzerte in den letzten vier Jahren.Wir haben 1997, mit Scheibe, das Thema „was trennt uns eigentlich“ behandelt. Das war das Abschließende, und damit war es auch gut. Dann haben wir den Schritt gemacht, das uns Verbindende zum Thema zu machen.
Kühnast: Ich gehe ja als freier Mensch hier ein und aus. Ich bin hier nicht beschäftigt oder sowas, nie gewesen. Wenn das irgendwelche Nebeneffekte hat, die sich positiv auswirken auf das Leben, dann ist das doch ganz klar: Dann mache ich das für mehr Mitbestimmung für Behinderte, logisch. Aus einem politischen Grundgedanken, der aber menschenpolitisch ist. Nicht, weil ich diesen sozialen Aspekt irgendwie in den Vordergrund schiebe.
Boysen: Wir haben dieses sozialpolitische Thema abgehakt. Wir wollen uns damit nicht weiter auseinandersetzen. Das haben wir acht Jahre getan, wir haben unseren Beitrag zu den Entwicklungen getan, jetzt ist es gut. Das hat wieder damit zu tun, dass sich unser Publikum geändert hat. Der klassische Sozialarbeiter mit dem Behinderten am Arm, oder die Eltern, die sind nicht mehr da.
Kühnast: Das wird denen einfach zu speziell.
Boysen: Andere Auftrittsorte sind dazugekommen, die soziokulturellen Zentren sind vorbei. Es gibt immer noch behinderte Menschen in unserem Publikum, aber die kommen wegen dieses Konzertes dahin, vielleicht auch mit Bekannten, Freunden, sonstwie. Und eine ganz andere Generation von Konzertgängern kommt: Eine jüngere Generation, die die Auseinandersetzungen der 70er und 80er Jahre gar nicht mehr kennt, was Auflösung dieser ganzen Institutionen angeht. Das ist eine positive Entwicklung, die uns Spaß macht, weil wir jetzt an dem Punkt sind, wo wir schon vor zehn Jahren hinwollten.
Interview: Alexander Diehl
Hitparade ist bereits bei Mute erschienen
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