: „Menschen brauchen Kunst“
Theater ist kein Luxus mehr: Majid Sharifkhodaei, der Leiter des Dramatic Arts Center in Teheran, im Gespräch über Reaktionen iranischer Theater auf die Attentate in den USA
taz: Herr Sharifkhodaei, in Deutschland wurden aufgrund des Schocks durch die Attentate in Amerika viele Theater für ein paar Tage geschlossen. War das im Iran auch so?
Majid Sharifkhodaei: Im Iran wurden keine Theater geschlossen, aber die Theaterleute haben ein Schreiben aufgesetzt, um der US-Regierung ihr Mitgefühl auszudrücken.
Wurde der 11. September im Iran als ähnlicher Einschnitt empfunden wie im Westen?
Das, was in den Staaten passiert ist, ist wie das erste Kapitel des dritten Jahrtausends. Das Geschehen hat gezeigt, dass Veränderungen stattfinden müssen.
Was für Veränderungen?
In der neuen Welt brauchen Menschen Gleichheit. Jede Gesellschaft, in der Frieden und Sicherheit gestört werden, beginnt, die Urheber zu hassen. Menschlichkeit ist ein universaler Wert. Wir lieben die Terroristen nicht, wir hassen sie.
Was hat es für Sie eine Bedeutung, dass gerade jetzt das 1. Iranische Theaterfestival in Europa stattfindet?
Das Festival war schon lange geplant, und auch wenn der 11. September nicht gewesen wäre, hätten die Theaterleute ein Ziel: Kultur soll helfen, dass Menschen zueinander finden.
Woher kommt diese Angst der westlichen vor der östlichen Kultur und umgekehrt? Warum können Terroristen diese Ängste instrumentalisieren?
Nicht die Kulturen haben Angst voreinander, sondern die Menschen. Ich glaube, dass die Urheber von Terror Menschen sind, die keine kulturellen Neigungen haben; ihnen geht es um Geld, wirtschaftliche und militärische Interessen. Und deswegen denke ich auch, dass Theater die Aufgabe hat, die kulturelle Idee der Menschen weiterzuführen.
In den Stücken, die in Mülheim zu sehen waren, ging es viel um Unterdrückung und Freiheit. Ist das ein großes Thema im iranischen Theater?
Es gibt viele Stücke, die andere Dinge thematisieren. Das iranische zeitgenössische Theater beschäftigt sich mit Vorgängen, die in der ganzen Welt passieren.
Im Iran gibt es einen Theaterboom; etwa 1.000 Gruppen existieren. Wie kommt das?
Vor der Revolution gab es nur eine Universität mit einer Theaterfakultät. Heute schließen jedes Jahr etwa 1.000 Schauspieler mit einem Diplom ihre Ausbildung ab. Dazu kommt, dass das Theater auf die junge Bevölkerung im Iran eine große Anziehungskraft ausübt. Die Theater sind voll.
Wie ist die finanzielle Unterstützung?
Generell hat die Kultur weniger Geld als andere Bereiche. Dennoch wird heute zehnmal mehr Geld für Theater ausgegeben als vor drei Jahren. Vor der Revolution war Kunst Luxus, heute ist sie ein Muss. Die Menschen brauchen die Kunst, um weiterleben zu können.
INTERVIEW: DOROTHEA MARCUS
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