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Tibet: „Im Palast der Verheißung“

Chinas Behörden präsentieren das tibetische Kloster Kumbum als folkloristische Touristenattraktion. In seine Leitung wird nur berufen, wer den Behörden genehm ist, doch die Mönche verhehlen ihre Sympathie für den Dalai Lama nicht

XINING taz ■ Kein Bild und keine Tafel verrät im Kloster Kumbum, dass hier einst der Dalai Lama gelebt hat. Stattdessen hängen in den Empfangsräumen für Ehrengäste Fotos von Mao Tse-tung und anderen Größen der Kommunistischen Partei, die den heiligen Ort besuchten. Als Kind lernte das geistliche Oberhaupt des tibetischen Buddhismus an diesem Ort lesen, schreiben und die ersten Riten seiner Religion. Doch Chinas Behörden haben befohlen, den berühmten früheren Bewohner zu ignorieren: Offiziell gilt er als Staatsfeind, der die Einheit Chinas zerstören will.

Dennoch ist der Dalai Lama im Kloster Kumbum allgegenwärtig. Im „Palast der Verheißung“ zeigt ein Mönch verstohlen die Gemächer, in denen das religiöse Oberhaupt als Kind wohnte. Zu sehen sind ein Altar, Stühle und ein Bücherschrank. In den bescheidenen Kammern der Mönche klemmen Fotos des Dalai Lama hinter Spiegeln und Büchern. Wenn er sich unbeobachtet fühlt, zieht ein zwanzigjähriger Mönch stolz das Porträt zwischen seinen Tonbandkassetten hervor, um es Besuchern zu zeigen.

Das Kloster Kumbum liegt in der Provinz Qinghai, einem Gebiet, das in den vergangenen Jahrhunderten zu Tibet gehörte. Bis heute ist es eines der wichtigsten Zentren des tibetischen Buddhismus. Auch hier brechen immer wieder die Konflikte zwischen der chinesischen Regierung und tibetischen Gläubigen auf. So schloss die Polizei Mitte der 90er-Jahre eine Klosterschule, in denen junge Mönche für ein unabhängiges Tibet agitiert hatten. Und vor drei Jahren drang die unerhörte Nachricht von der Flucht des Klosterabtes Argya Rinpoche an die Öffentlichkeit.

Der Geistliche hatte sich nach Amerika abgesetzt, weil er den von der Regierung eingesetzten 11. Panchen Lama, den zweithöchsten tibetischen Würdenträger, nicht anerkennen wollte. „Ich wollte meinen Glauben nicht kompromittieren. Also entschloss ich mich zu gehen“, erklärte er in den USA.

Der Hintergrund des Konflikts ist ein dramatischer Streit um die Nachfolge des 10. Panchen Lamas. Nach seinem Tode 1989 hatte der im indischen Exil lebende Dalai Lama einen anderen Knaben als Reinkarnation des Geistlichen anerkannt als die Regierung. Seither gibt es zwei Panchen Lamas. Den vom Dalai Lama bestimmten Jungen halten Chinas Behörden an einem unbekannten Ort fest.

Nach der Flucht des Abtes hat die Regierung die Kontrolle über das Kloster verschärft. Seine Geschicke lenkt nun ein sogenannter Demokratischer Ausschuss aus 17 Mönchen. Niemand darf in das Gremium gewählt werden, der den Behörden nicht genehm ist. 600 Mönche – überwiegend Tibeter und Mongolen, leben derzeit im Kumbum, 3.000 waren es zu den Hochzeiten des Klosters. Viele der Mönchsquartiere stehen leer und verfallen.

Lange Zeit war das Kloster wegen der Konflikte für ausländische Journalisten gesperrt. Doch inzwischen scheint sich die Lage so weit beruhigt zu haben, dass die Regierung wieder Berichterstatter zulässt. Der jüngste Besuch geriet allerdings zu einer peinlichen Angelegenheit. Denn unter den wachsamen Augen chinesischer Offizieller mochten die Klostersprecher, darunter zwei „Lebende Buddhas“, Fragen nach dem geflohenen Abt und dem Dalai Lama nicht beantworten. Entnervt flohen sie schließlich in einen Nebenraum.

Ihr Schweigen spricht Bände. Sie wissen, wie heikel das Verhältnis zur Regierung ist, wie schnell die Stimmung umschlagen kann. So vertreiben die Behörden nach Informationen tibetischer Exilorganisationen seit Juni hunderte, wenn nicht gar tausende tibetischer Mönche und Nonnen aus der abgelegenen Gemeinde Serthar in der Provinz Sichuan. Dort hatten sich in den letzten Jahren Gläubige aus ganz China zusammengefunden, um ohne Einmischung der Behörden zu beten und zu meditieren.

Das Kloster Kumbum, am Geburtsplatz des Gründers der Gelbmützensekte gebaut, zeigt deutlich, wie die Pekinger Regierung die unbequemen Tibeter in Zukunft am liebsten sehen will – als exotische Touristenattraktion. So haben die Behörden das malerische Kumbum in den letzten Jahren immer mehr von einer Gebets- und Studienstätte in ein Ausflugsziel umgewandelt. In die im 16. Jahrhundert gegründete Tempelanlage, dreißig Kilometer vor der Provinzhauptstadt Xining zwischen grünen Hügeln gelegen, strömen inzwischen alljährlich hunderttausende chinesische Besucher.

Führer schleusen die Massen per Lautsprecher durch Gebetshallen, Bibliotheken und Wohnhöfe. Dort bestaunen sie Buddhastatuen und Mönche. Zum allgemeinen Gaudi kleiden sich die Touristen in tibetische Trachten, die für ein paar Mark auszuleihen sind, um sich dann zu fotografieren. „Wir haben uns an den Trubel gewöhnt“, sagt schulterzuckend ein Mönch. Immerhin erlauben die Eintrittsgelder den Bewohnern, die alten Gebäude zu renovieren. Einige der zentralen Tempel mit ihren vergoldeten Buddhastatuen, dekorierten Säulen und reichen Fresken werden derzeit instand gesetzt.

Zwischen die Touristen mischen sich aber auch Gläubige. In einer kleinen Praxis mit eigener Apotheke behandeln zwei freundlich aussehende Mönche geduldig eine Familie aus der Umgebung. Sie beherrschen noch die uralte Wissenschaft der tibetischen Heilkräfte. Der Arzt in roter Robe misst der Großmutter den Puls, stellt kurze Fragen und schreibt ein Rezept aus. Hier, fern von den Besucherströmen, ist die tibetische Kultur noch lebendig. JUTTA LIETSCH

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