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Keine Parteien, nur noch Briten

In Großbritannien beginnt die alljährliche Parteitagssaison mit dem Ausfall jeglichen parteipolitischen oder überhaupt innenpolitischen Streits – abgesehen von ein paar lästigen Linken, die am Labour-Tory-Schulterschluss herummäkeln

von RALF SOTSCHECK

Tony Blair beschwört die nationale Einheit. Der britische Premierminister möchte auf dem Labour-Parteitag, der gestern im südenglischen Seebad Brighton begann, bei seinen Genossen die einhellige Unterstützung der US-Regierung im Kampf gegen den Terrorismus druchsetzen. Lästige innenpolitische Themen will er ausklammern.

So soll der Streit mit den Gewerkschaften um die Teilprivatisierung öffentlicher Dienste – zum Beispiel Schulen, Flugsicherheit und Londons U-Bahn – auf kleiner Flamme gekocht werden. Die Gewerkschaften spielen dabei mit. Ursprünglich sollte das Thema auf dem Parteitag erbittert ausgefochten werden, doch nach den Anschlägen in den USA vor knapp drei Wochen sind die Gewerkschaftsbosse kompromissbereit. Die Gewerkschaft Unison hat ihre Werbekampagne gegen die Privatisierung, für die sie eine Million Pfund bereitgestellt hatte, abgeblasen. Eine andere Gewerkschaft, GMB, will sogar auf die Abstimmung nach der Debatte verzichten, um das Bild der Einheit aufrechtzuerhalten.

Doch Ärger wird Blair nicht gänzlich erspart bleiben. Das, was noch vom linken Parteiflügel übrig ist, beschwert sich darüber, dass die Parteiführung sämtliche Resolutionen gegen das US-Raketenabwehrsystem kurzerhand verboten hat. Außerdem haben sich Bürgerrechtsorganisationen zusammengeschlossen, um Innenminister David Blunkett auf einer Veranstaltung wegen der eventuellen Einführung von Personalausweisen zur Rede zu stellen.

Der Labour-Geschäftsführer Charles Clarke, der als Student dem inzwischen aus der Partei verbannten Trotzkistenflügel „Militant“ angehörte, sieht in Ausweisen kein Problem. „Bei den Gesundheitsdiensten, bei der Sozialversicherung und bei Banken ist doch ohnehin eine riesige Menge an Informationen gespeichert“, sagte er, „da ist doch ein Personalausweis gar kein neues Prinzip.“ Er fügte hinzu, dass man nach den US-Anschlägen damit anders umgehen müsse: „Es gab vorher auch eine Menge an Informationen, aber sie wurden zwischen den Geheimdiensten nicht genügend ausgetauscht.“

Clarke glaubt, dass der „Antiamerikanismus der britischen Linken“ aufweiche, da die US-Regierung auf die Anschläge „besonnen“ reagiert habe. „Bushs Wahl schien eine isolationistischere US-Position einzuläuten“, sagte Clarke. „Die Ereignisse vom 11. September haben den Glauben erschüttert, dass ein Land allein diese Probleme angehen kann, selbst wenn das Land so groß wie die USA ist.“

Vor dem Konferenzzentrum in Brighton demonstrierten gestern 10.000 Menschen. Ursprünglich sollte es eine Demonstration gegen die Privatisierungspläne der Regierung sein, doch viele kamen, um gegen Großbritanniens enge und unkritische Liaison mit den USA zu protestieren. Die Grünen-Politikerin Anna Bragga, eine der Organisatorinnen der Demonstration, befürchtete, dass es am Abend zu Krawallen kommen könnte: „Wir haben große Angst vor der Reaktion der Polizei, wenn es das kleinste bisschen Ärger gibt. Wir fürchten, dass die Polizei nach den US-Anschlägen einen Freibrief hat, erbarmungslos vorzugehen.“

Im Konferenzsaal verzichteten die ersten Redner auf die üblichen Attacken gegen die Oppositionsparteien. Das wäre bei dem derzeitigen Klima ungehörig, sagte einer. Blair hält seine Parteitagsrede morgen Nachmittag. Am Mittwoch wird der Parteitag vorzeitig abgebrochen, weil für Donnerstag eine Notstandssitzung des Unterhauses angesetzt worden ist. Auch die Tories haben ihren Parteitag nächste Woche verkürzt, weil sie erwarten, dass britische Soldaten dann in Afghanistan im Einsatz sind.

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