: Erhellendes im Medium der Fotografie
■ Die Städtische Galerie zeigt Serien des Konzeptfotografen Timm Rautert
„Ich halte die Hand vor die Sonne und es wird dunkel. Das stimmt natürlich nicht. Es wird auch nicht wieder hell, wenn ich die Hand wieder wegnehme. Es war ja die ganze Zeit hell!“ Timm Rautert hat sich mit den Illusionen der Fotografie beschäftigt. Und mit der Vervielfältigung. Und mit der Objektivität. Und mit Lichteffekten. Kurz: Timm Rautert hat im Medium der Fotografie Untersuchungen zum Medium der Fotografie gemacht. „Ich wollte eine Grammatik der Fotografie schreiben, aber eben nicht als Text, sondern indem ich die Eigenschaften der Fotografie zeige.“
Und das ist heute mindestens so spannend wie vor dreißig Jahren, als die Serie „Bildanalytische Fotografie“ entstand, die jetzt, neben anderen Serien des bekannten Fotografen in der Städtischen Galerie im Buntentor zu sehen ist.
Bild 1: Ein kleines Boot schippert in bewegtem Wasser. Bild 2: Dasselbe Gewässer mit höher schlagenden Wellen. Das Boot ist nicht zu sehen. Bildunterschrift: Am 12.9.74 starben 67 Menschen. Kommentar des zur Ausstellungseröffnung angereisten Timm Rautert: „Am 12. September 1974 starben bestimmt 67 Menschen, aber die waren vielleicht gar nicht auf dem Boot. Und das Boot ist vielleicht gar nicht untergegangen, sondern hat einfach abgedreht.“ Dass die Fähigkeit zur Lüge, oder besser: zur Suggestion, zu den Eigenschaften der Fotografie gehört ist eine der vielleicht schlichten und doch unendlich wichtigen Aussagen dieser Serie. Konzeptionell ist diese Herangehensweise in jedem Fall, im Grunde fast ein Lehr(er)stück in Sachen Fotografie.
Raffiniert, und auch humorvoll, ist das Spiel mit der wirklichkeitsabbildenden Fähigkeit des Mediums. Bild 1: Ein Ausschnitt aus einem Studentenzimmer, auf dem Bett eine Kamera und ein Objektiv. Bild 2: Das gleiche Zimmer, der gleiche Ausschnitt. Die Kamera auf dem Bett und das Objektiv fehlen. Bildunterschrift: „Die Kamera vom Bett genommen, das Objektiv eingesetzt und ein Bild gemacht.“ Also spielt die Szene auf Bild 1 zeitlich vor dem Foto? Und ist doch selbst ein Foto!
Timm Rautert, der die bildanalytische Serie noch als Student und Schüler von Otto Steiner an der Essener Folkwangschule begonnen hat, ist mittlerweile selbst Professor. An der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst unterrichtet der heute 60-Jährige und er tut es gerne. Immerhin will er noch fünf Jahre weitermachen. Altenteil oder Vorruhestand scheint seine Sache nicht zu sein – was man nicht zuletzt an der jüngsten, ebenfalls in der Städtischen Galerie ausgestellten Serie, merkt.
Sie trägt den Titel „Koordinaten“ und wenn die bildanalytische Serie die Grammatik der Fotografie ist, dann sind die „Koordinanten“ die Sprache selbst. Die meisten Teile dieser Serie bestehen aus zwei großformatigen zusammengefügten Bildern, von denen eines ein Fundstück ist. Zum Beispiel das Zeitungsbild eines Skispringers, behelmt, voller Werbung, in einer perfekten Pose. Bedrohlich und begehrenswert zugleich. Ihm ist das Bild einer Autofertigungsstraße zur Seite gestellt. Formal sind diese Bilder noch von derselben Strenge in der Lichtführung und in ihrer Suche nach grafischem Halt wie die der allerersten und ebenfalls ausgestellten Nwe York Serie. Inhaltlich aber ist die Welt und vor allem der Versuch ihrer Darstellung komplizierter geworden: Man erkennt den Ausschnitt aus der Autofabrik nicht sofort, findet keinen Halt in dem Bild, die um 90 Grad gedreht ist. Der Blick rutscht ab an der bunt glänzenden Apparatur. Erst wenn man im Hintergrund den Menschen erspäht hat, weiß man, ,wie rum' das Foto ,richtig rum' wäre. Die Kombination der beiden Bilder – Skispringer und Autostraße – wirft Fragen nach dem Menschen, nach seiner Position im Betrieb, im Kulturbetrieb, im Bilderbetrieb auf. Koordinaten sind Bezugspunkte – und Rautert schlägt immer wieder den Menschen als Bezugspunkt vor, allerdings als einen zunehmend entmachteten Bezugspunkt. Daran ändern auch die großformatigen Porträts nichts, die Rautert in einem besonderen Verfahren von sieben Frankfurter Börsenmaklern und -maklerinnen gemacht hat. Von seiner neun mal sechs Meter großen Fotografie einer Börsenszene, die naturgemäß eher die Übermacht des Geschehens als die Handlung des Einzelnen herausstellt, hat Rautert wiederum Detailaufnahmen von sieben Personen gemacht. Die im Genre des Porträts behauptete Individualität wird allerdings zurückgenommen durch ihre Namen: Porträts 1 bis 7.
Elke Heyduck
Timm Rautert, noch bis 21.10. in der Städtischen Galerie im Buntentor
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