: Zuschauen, wie andere beten
Der diesjährige „Tag der offenen Moschee“ stand im Schatten der Anschläge in den USA. Zwar kamen in Reaktion auf sie besonders viele Interessierte in die muslimischen Gotteshäuser – doch gesprochen wurde über den Terror kaum
von PHILIPP GESSLER
Vielleicht weint Allah ja, auf jeden Fall regnet es in Strömen. Die Rollläden der türkischen Geschäfte um den Kottbusser Damm sind an diesem „Tag der deutschen Einheit“ heruntergelassen. Eine Betontreppe führt hier zur Mevlana-Moschee der Islamischen Föderation Berlin (IFB). Es sind ehemalige Produktionsräume einer Rollstuhlfabrik, aber hier fühlt man sich willkommen. Ein Jugendlicher hält die Tür auf, man zieht die Schuhe aus und betritt in Socken einen mit grünem Teppich ausgelegten Raum, den Gebetsraum.
Heute ist der „Tag der offenen Moschee“, und neun islamische Gotteshäuser haben in Berlin ihre Türen für die Ungläubigen geöffnet. In ganz Deutschland sollen es mehrere hundert Moscheen sein, die Nichtmuslime einladen, einen Blick in diese unbekannte Welt zu werfen. Und natürlich ist dieser „Tag der offenen Moschee“ nicht so wie die in den vergangenen Jahren: Die Anschläge in den USA hängen wie ein Schatten über dieser Geste der Gastfreundschaft.
Das war schon daran zu erkennen, wie aggressiv sich Ende vergangener Woche die eigentlich ganz harmlose Pressekonferenz entwickelte, die die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, zur Propagierung des Tages organisiert hatte. Nein, es gibt keinen Zusammenprall der Kulturen in Berlin, aber einiges böses Blut – und viel Unwissenheit.
Einer, der schon etwas mehr weiß, ist Stefan Höppe. Er ist Kulturmanager, wohnt in Kreuzberg über einer Moschee und hat auch schon einiges über den Islam gelesen. In der Mevlana-Moschee kauft er sich gerade an einer Buchtheke neue Schmöker über diese Religion. Er war noch nie in einer Moschee. Das „sehr Hermetische der islamischen Religion“ habe ihn bisher davon abgehalten, eine zu besuchen, erklärt er. Auch wenn die Anschläge natürlich zu verurteilen seien, sagt er, sei der Islamismus doch eine „legitime Reaktion auf den Werteverlust“, den die muslimischen Ländern durch die Dominanz der westlichen Kultur in der Moderne erlitten hätten.
Per Lautsprecher ruft jetzt Burhan Kesici, Sprecher der Föderation, Interessierte in einen Seitenraum der Moschee, die man durch Rolläden in mehrere Abteilungen unterteilen kann. Tische sind darin aufgestellt, Mürbeteig-Kekse kann man hier essen, Orangensaft aus Pappbechern trinken. Mit ein wenig Sarkasmus nimmt er Fragen vorweg, die man stellen könne – etwa, ob es nach dem islamischen Glauben in Ordnung sei, 6.000 Menschen zu töten. Aber die Anschläge sind fast so etwas wie ein Tabuthema an diesem Tag: Vielleicht ist Höflichkeit der Grund, denn welcher Gast fragt schon gern nach den vermuteten Leichen im Keller des Gastgebers.
Es geht um den islamischen Religionsunterricht, den die IFB als einzige muslimische Organisation an zwei Schulen der Stadt geben darf, nachdem sie sich dieses Privileg gerichtlich erstritten hatte. Viele Muslime sind darüber nicht glücklich, da sie der IFB zu nahe Kontakte zu Milli Görüs nachsagen – einer türkisch-islamischen Gruppe, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und unter dem Verdacht steht, „extremistische Positionen zu vertreten“.
Dann wird etwa eine halbe Stunde lang gebetet, die Rolläden ruckeln nach oben. Die Nichtmuslime können zuschauen, wie ein Muezzin in ein Mikrofon singt und an die hundert Männer sich gen Mekka verneigen – junge Musliminnen mit bunten Kopftüchern tun es ihnen hinter einer geschlossenen Jalousie gleich.
Barbara John kommt vorbei. Zu diesem offenen Tag seien wohl etwa viermal mehr Interessierte gekommen, als sonst, meint sie. Höppe schnürt seine Schuhe und nimmt eine rote Rose an, die junge Frauen jedem Besucher beim Abschied schenken. „Natürlich war das eine Inszenierung“, meint er, „aber was kann man anderes erwarten?“ Es sei selbstverständlich, dass manche Lebenswelten eben nicht jedem zugänglich seien. Draußen regnet es immer noch. Vielleicht sind es die Tränen Allahs über den Dialog der Religionen.
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