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Krieg und Bomben = Intelligenz?

betr.: „Viel Herz und wenig Verstand“, Kommentar von Eberhard Seidel, taz vom 26. 9. 01

Vor mir liegt ein offener Brief von Eltern, deren Sohn im World Trade Center umgekommen ist, an den amerikanischen Präsidenten. Der letzte Satz lautet: „Wir bitten Sie eindringlich, darüber nachzudenken, wie unsere Regierung zivile, vernünftige Lösungen für das Problem des Terrorismus entwickeln kann, damit wir nicht auf das unmenschliche Niveau der Terroristen sinken.“ Ich denke, auch Herr Seidel will diesen Eltern nicht ihren Schmerz, ihre Betroffenheit absprechen und doch hoffentlich auch nicht den Verstand. Millionen andere Menschen denken ähnlich wie diese Eltern: Sie trauern um die Opfer des Terrors und sie haben Angst vor einer Eskalation der Gewalt, in deren Folge weitere Tausende unschuldige Menschen sterben. Für diese Angst gibt es Gründe, z. B. die Reaktion der USA in der Vergangenheit, die Raketen auf Afghanistan und eine Pharma-Fabrik im Sudan nach den Botschafts-Attentaten; das Schwarz-weiß-Bild, das Bush malt, wenn er vom „monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse“ spricht, davon, dass man „diesen Krieg gewinnen“ werde, dass man nicht mehr unterscheiden will zwischen „den Terroristen . . . und jenen (Ländern), die sie beherbergt“ haben.

Ist es nicht verständlich, dass bei solchen Äußerungen die Sorge wächst, dass durch eine „Politik der Rache“ von Seiten der Supermacht die Gewalt eskaliert und in der Folge in anderen Teilen der Welt es Terrororganisationen leichter haben werden, neue Kämpfer zu rekrutieren? Terroristen zu bekämpfen ist eine Sache, den Terrorismus zu bekämpfen erfordert aber mehr: Man muss den Terroristen die Rekrutierungsebene nehmen, d. h. eine Lösung des Nahost-Konflikts usw. usf. [. . .] JÜRGEN NIETH, Bonn

„Naivität ist ein Menschenrecht, das allerdings nicht zur Maxime der Politik werden darf.“ [. . .] Folgerichtig spricht Seidel der Friedensbewegung und allen Kritikern zwar „Herz, aber wenig Verstand“ zu. Demnach sind Bomben und Raketen, Kollateralschäden und chirurgische Vernichtung ein ganz besonderer Ausdruck von Intelligenz?

[. . .] Die Aufgabe der Friedensbewegung bleibt, die Militarisierung der Außenpolitik zu Gunsten einer Friedenspolitik zu verändern. Die Fragen, welche Seidel an die Friedensbewegung stellt (Wie kann der Terror verhindert werden?), sind berechtigt. Nur, es hindert ihn ja niemand, an der Suche nach gerechten Antworten teilzunehmen. Innen- und außenpolitisch sollte Besonnenheit zur Maxime der Politik werden. Mit Herz und Verstand!

MANFRED KOCH, Stukenbrock

Der Verfasser des Kommentars sollte einmal die martialischen Äußerungen des US-Präsidenten und dessen Entourage nach dem Terroranschlag genauer ansehen: Von Krieg, von Befreiung der Welt vom Bösen, vom Ausrächern der Terroristen, vom Kreuzzug gegen den Terror etc. war da die Rede. Und gleichzeitig machte die US-Armada Leinen los und eilte mit allem, was sie hat, in die Golfregion.

Zu diesem Zeitpunkt musste jeder Mensch aus den Statements der maßgebenden Politiker schließen, dass die US-Administration wirklich vorhat, militärisch zuzuschlagen und einen Krieg heraufzubeschwören ohne zu wissen, gegen wen. Die US-Regierung hat dann dem „Bösen“ einen Namen und eine Adresse gegeben, damit sich die westliche Welt besser orientieren kann. Doch bisher weiß niemand wirklich, wer hinter den Selbstmordattentaten steht. Wenn dann die Bürger, die von den Medien gerne als naive „Gutmenschen“ abqualifiziert werden, aufstehen und sagen: Terror kann man nicht mit Kriegs-Terror bekämpfen, dann sind diese Menschen naiv? [. . .] RICHARD UHRIG, München

Am 13. 9. hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einem Video an die amerikanischen Soldaten einen Militärschlag angekündigt. Schon in den nächsten Tagen könnten sich die Männer und Frauen in Uniform in die „lange Geschichte amerikanischer Militärhelden“ einreihen. Am 26. 9. polemisiert Herr Seidel in seinem Kommentar zur Reaktion der Friedensbewegung über „Unterstellungen, die durchaus auch in der taz vertreten wurden“. Was für Unterstellungen? Sprach Herr Rumsfeld keine klare Sprache? Ist es Naivität, die Äußerungen von Rumsfeld und Bush ernst zu nehmen und zur Besonnenheit zu mahnen?

Von Resozialisierung der Terroristen ist im Aufruf der Friedensbewegung nirgends die Rede. Das zum Thema Wahrnehmung. Aber nur bis zum nächsten Gegenschlag zu denken, wird der komplexen Problematik auch nicht gerecht. Entschiedenes Handeln ist sehr wohl notwendig. Ob dies militärisch geschieht, muss in einer Demokratie diskutiert und abgestimmt werden. Und es muss auch auf Nachdenklichkeit, Besonnenheit und zivilisiertes Verhalten der USA und der Nato bestanden werden.

HORST WERNER, Euskirchen

Ich habe mir erlaubt, die wüsten Drohungen des Herrn Bush auf unsere innerdeutschen Verhältnisse zu übertragen: Nach dem nächsten rassistischen Mord wird der Notstand ausgerufen; anschließend bombardiert die Bundeswehr Einrichtungen wie Schulen, Jugendzentren, Diskotheken und Kneipen, in denen nachweisbar oder Gerüchten zufolge Glatzen gesichtet, rechtsradikale Lieder gegrölt oder Gesprächsfetzen rassistischen Inhalts aufgeschnappt wurden. CHRISTA SCHNEIDER, Wuppertal

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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