: Gib mir ein „r“
■ Verpasst? Selber schuld. Der dritte Tote Salon am Einheitsabend bot lebende Dichter, Denker, Richter und Henker verpasst.
Ist da irgendjemand, der nach 1938 geboren ist und behauptet, er hätte die Performance erfunden? Das wäre dann allerdings eine glatte Lüge. Denn ihr eigentlicher Erfinder heißt Horst Tomayer, und er würde selbstverständlich nie Performance zu dem sagen, was er da macht und bietet und vorgestern in der dritten Ebene des Kulturzentrums Schlachthof zu Gehör brachte. Er würde nie Performance sagen, aber sicher gerne „Perrforrrmanz“.
Horst Tomayer, 1938 in As / Tschechien geboren spricht oberbayrisch, rollt das r, dass es die reine Freude ist und man bei der nächsten Rechtschreibreform jedes sagen wir Tun-Wort mit einem (zusätzlichen) „r“ ausstatten möchte. Austratten mörchte.
Tomayer las „German Poems“, wobei las, wie gesagt, das falsche Wort ist. Er bellte und beiferte und säuselte und sang mit feinem Stimmchen, er klingt wie der Karl Valentin – mit dem ihn nicht nur das Münchnerische verbindet – unserer Zeit und er sieht aus wie der Gene Hackman einer anderen Zeit. Seine Verse? Er trug sie schon im Fernsehen vor, auch bestückt er mit Tagebucheintragungen von hoher Güte die Monatszeitschrift konkret, aber wie bei jedem Guten Dichter möchte man so gerne die Gedichte mal da plazieren, wo sie was anrichten. Also Augen zumachen, und sich die Biergartenwerbeszene von Paulaner vorstellen. Alsdann ein neuer Text, nicht vergessen, das „r“ zu rollen:
Unterm Baldachin der Kastanien Der Maßkrug klingt nah und fern Diskurieren gmüatliche Münchner Wia dHaschhändler hi gmacht ghörn Oana moant i daads daschiaßn Der andre is mehr für den Strick Koa oanziger is fürs Vergasen Mei ham de Haschhändler Glück
So trug er Kürzeres und Längeres vor und wurde dabei auf's Freundschaftlichste flankiert von den taz-, Titanic-, Buch- und/oder konkret-Autoren Rayk Wieland und Gerhard Henschel.
Denn das ist das Konzept des „Toten Salons“, den die beiden in Hamburg ins Leben riefen und der nun schon zum dritten Mal in Bremen partnerstädtisch stattfindet. Walter Kempowski hieß der erste Gast, Jörg W. Gronius der zweite und jetzt also dieser Tomayer, den die beiden neidlos featureten mit ihren eigenen Beiträgen.
Kleine Tomayer-Hommagen wurden da verlesen – so der von Wieland auf der taz-Wahrheitsseite ausgebreitete Verdacht, Tomayer könnte Barbara Becker per Fax befruchtet haben und sei damit der rechtmäßige Vater vom kleinen Elias (und ebenso rechtmäßige Inanspruchnehmer seiner Unterhaltsknete).
Oder Gerhard Henschel, der einen Ausschnitt des immer wieder und gerade jetzt lesenswerten Romans „Der Mullah von Bullerbü“ vortrug, in dem die literarische Gestalt Tomayer die Kommissarin Gisela Güzel aus dem Knast in Kandahar befreit, nachdem sie dort mit islamischem Privatfernsehen gefoltert wurde, mitansah wie sich das islamische Volk im Gefängnishof mit Haarwuchsmittel überschüttet und aus den Lautsprechern Songs wie “Das Lied der Stümpfe“ und „Hey Mister Taliban“ zu hören bekam. Klar, da rollte ein dunkles Ho Ho Ho durch die Kehlen. Darf man lachen? Klar darf man, ernst ist schon die Lage, und in Zeiten, in denen allen möglichen Leuten plötzlich alle möglichen Dinge heilig werden, sind Leute, denen nichts heilig ist, das einzige Gegenmittel.
Im Bermuda-Dreieck von Titanic-konkret-taz-Wahrheitsseite geht zwar gerne mal die Räson baden, aber das heißt ja nicht, dass man dort nicht auch gegen was sein kann: Gegen Katzen, Hunde und Herkunftsangaben zum Beispiel. Gelegentlich werden dort auch Wracks geborgen. So die DDR, die an diesem vorgestrigen Abend der deutschen Einheit dank Rayk Wieland in Wort und Ton wiederauferstand. Wieland verlas ein Heinrich Heinesches Wintermärchen-ähnliches DDR-Gedicht von Peter Hacks. Er spielte Friedenslieder von DDR-Kinderchören ein, die in ihrer Kindsferne nur noch von westdeutschen Mülltrennungskinderliedern übertroffen werden, sich aber ungleich rührender anhören.
Wieland versuchte schlussendlich, per Unterschriftenliste die Wiedergründung der DDR in den Grenzen von 1989 anzuschieben. Es haben dann aber nur zwei Leute unterschrieben...
. Elke Heyduck
Der nächste Tote Salon am 16. November wird garantiert wieder ein Hochgenuss.
Dann nämlich präsentieren Wieland und Henschel den völlig zu Unrecht unbekannten Frank Schulz, Autor des besten Trinkerromans aller Zeiten „Kolks blonde Bräute“ (leider zur Zeit vergriffen) und des jetzt neu im Haffmanns Verlag erschienenen „Morbus fonticuli oder die Sehnsucht des Laien“.
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