piwik no script img

themenläden und andere clubsPlötzlich verpasst man die Verfeinerungen des Pop

Mainstream-Trottel

Es ging um ein Album von Brian Jones Massacre. Robert sagte, es wäre „genauer ausformuliert“, reifer als der Vorgänger. Martin meinte: „Quatsch, die Songs auf dem Debüt waren besser, solche Songs bekommen Brian Jones Massacre nie wieder hin.“

Robert und Martin saßen sich schräg gegenüber am Esstisch in Roberts Wohnzimmer. Es war schwierig geworden, an den beiden vorbei ein Gespräch zu führen. Robert feierte seinen 34. Geburtstag. Auch Brinkmann saß mit am Tisch, seine Freundin Alexandra war mit Robert befreundet. Brinkmann wusste von ihr, dass Robert ein Musikfreak sei: „Ihr versteht euch bestimmt!“. Er freute sich tatsächlich, mal wieder jemand kennenzulernen, der möglicherweise ähnlich sozialisiert war. Ihm fiel auf, dass Robert und Martin im Verlauf des Abends sich immer mehr miteinander verhakten. Allerdings so, dass die anderen fünf Gäste – Brinkmann, Alexandra, Roberts Freundin Rollergirl und ein anderes Pärchen – bald zu Statisten wurden, die auf ihren Stühlen zu kippeln begannen.

Brinkmann fühlte sich unwohl, er hatte sich das anders vorgestellt. Die Musik, die lief, kam ihm für eine lockere Runde nicht angemessen vor. Er hätte sich etwas Leichteres gewünscht, ja, Easy Listening, Lounge-Musik, nicht diesen schwer zugänglichen Indietronics-Low-Fi-Kram, den Robert nicht müde wurde aufzulegen.

Martin und Robert sprachen über Brother Love und Caroline, über ein Prince-Coverversionen-Album eines Mitglieds von Yo La Tengo, über Seitenprojekte von Mercury Rev, die neue Sparklehorse und besagte Brian Jones Massacre. Brinkmann sagten diese Bands und deren Alben fast überhaupt nichts. Yo La Tengo, klar, die kannte er, auch das neue Mercury-Rev-Album „All Is Dream“ war ihm ein Begriff. Aber Seitenprojekte? Irgendwas hatte ausgesetzt bei ihm, er musste stehen geblieben sein. Ja, an diesem Abend fühlte er sich als richtiger Mainstream-Trottel. Zaghaft versuchte er, sich bei Robert und Martin einzubringen und fragte die beiden, ob sie denn schon die neue New Order gehört hätten? „Ja, ja“, nuschelten beide, jedenfalls meinte Brinkmann irgendwas in der Art gehört zu haben. Doch Robert und Martin waren schon wieder beim neuesten Album einer Band namens Appliance. Er versuchte es noch einmal, und zwar mit den Strokes, wie sie die denn finden würden? Hier kam immerhin eine ausführlichere Reaktion: „Die klingen mir zu sehr nach Lou Reed, das finde ich uninteressant“, sagte Robert.

Als er dann zu seiner Anlage lief, um eine Lou-Reed-Platte aufzulegen, meinte Roberts Freundin Rollergirl, eine gebürtige Hunsrückerin, Brinkmann den Rücken stärken zu müssen und warf ein: „Isch versteh dei Musik nich, Robertsche.“

Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass sich die Geburtstagsrunde schließlich „ein ganz feines Stück“ von Arab Strap andächtig anhören musste: „Toll, wie sich hier erst gar nichts tut, wie Arab Strap die ganze Melodie erst an das Ende des Stücks gestellt haben.“

Brinkmann dachte an die Zeit, als auch er mit seinen Freunden Fall-Platten hörte und zu einem Stück namens „Tempo House“ Schlüpferstürmer trank. Da war er Anfang zwanzig. Robert und Martin aber schienen keine Zeit und kein Alter zu kennen, und Witze über die Musik, die sie hörten, schon gar nicht. Brinkmann fühlte sich alt. Als er sich verabschiedete, drückte ihm Robert noch ein Album von Grasshopper in die Hand: „Das musst du unbedingt hören, das ist der Hammer.“ GERRIT BARTELS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen